Bekannt ist Riesling ja für seine vergleichsweise strammere Säure. Viele lieben das, andere tun sich damit schwer. Doch wenn Rieslinge länger reifen, werden sie runder. Die Säure bindet sich dann geschmacklich mehr ins Gesamtbild ein und hebt dieses hoch, insbesondere wenn die Weine ein wenig Restsüße mitbringen oder gar edelsüß sind. Doch auch trockene Rieslinge reifen wunderbar, wenn sie das entsprechende Potenzial mitbringen, wie sich bei dieser Weinbewertung wieder gezeigt hat. Weiter spricht für gereiftere Rieslinge, dass die Weine in der Regel dezenter im Alkohol sind. Denn bei anderen Weißweinen tritt mit der Reife der Alkohol häufiger stärker hervor, weil die Säure geschmacklich zu wenig Gegengewicht bildet. Fachleute nennen das brandig, was man bei Riesling selten findet. Im Gegenteil, das ganze Geschmacksbild wird bei guten Rieslingen noch harmonischer. Die Sorte kann das. Weine mit mehr Restsüße entwickeln außerdem schöne Honignoten, weil sich der Zucker durch Karamellisieren mit anderen Stoffen und Aromen verbindet.
Also, es gilt, diese Rieslinge wieder zu entdecken, welche die Zeit veredelt. Allerdings bedarf es hochwertigerer Weine, denn es gilt die Grundregel: „Wo nichts ist, kann nichts reifen.“ Diese gehobenen Rieslinge sind eigentlich die typisch guten deutschen Weine. Denn Riesling stellt fast ein Viertel der deutschen Rebfläche. Diese Rebe mag es nicht so warm und gedeiht in unseren Breiten prächtig. So haben wir bei der jüngsten bonvinitas Weinbewertung (Blindbewertung von Fachleuten) neben allgemeinen Tropfen insbesondere gereiftere Rieslinge ausgeschrieben. Hier möchte ich von den Prüfern hochbewertete dem Alter nach aufsteigend (im Bild von links) vorstellen, edelsüße wie trockene. Ich probiere stets die besten für mich nach, um sie zu beschreiben und vorzustellen:
Mit
91 Punkten (von 100 – unser Bewertungssystem
findet sich hier) bewertet wurde die 2011 Riesling Erdener Treppchen Auslese vom
Weingut Albert Schwaab in Erden an der Mosel, ein edelsüßer Tropfen (Kategorie 4 – violette Punkte), bei dem ich notiert habe: Schon in der Nase eine Explosion tropischer Früchte vereint in großer Harmonie, was sich über die Zunge bis ins Finish fortsetzt und in einer Vereinigung von vielen Tropenfrüchten gipfelt.
Ein Wein wie ein Weihnachtsglöckchen!
Es ist ein schönes Spiel zu sinnieren, an was oder welche Begebenheit ein Wein erinnert. Dieses Spiel kann übrigens jeder probieren. Es braucht keine Fachkenntnisse.
Näher erklärt ist es hier.
Der genannte Tropfen eignet sich gut als Aperitif, zum Anstoßen bei Anlässen oder statt Dessert. Dass solche Weine auch wunderbar als Aperitif passen, müssen wir wieder entdecken. Sind wir den ewigen Sekt und O-Saft nicht langsam leid? Solche Weine bieten ein viel größeres geschmackliches Erlebnis und Spiel. Das 8 Hektar Familienweingut Albert Schwaab besitzt unter anderem Flächen in der sehr bekannten Mosellage „Erdener Treppchen“, so dass dieser Tropfen keineswegs von ungefähr kommt.
90 Punkte erhielt die 2010 Kalkmergel Riesling Spätlese trocken vom Weingut Eppelmann in Stadecken-Elsheim, Rheinhessen, aus der Lage Elsheimer Blume, die zeigt, dass auch trockene Rieslinge (bonvinitas Kategorie 2 – rote Punkte) wunderbar reifen können: „erwachsener“ Duft mit Noten von Zitronensaft, Sommeräpfeln und einem Hauch Spargel; sehr saftiger Körper, rund, mundfüllend, elegant; kräftig weiniges angenehm feinherbes Finish mit zarten Karamelltönen, verlangt nach dem nächsten Schluck – wie wenn man ein Juweliergeschäft betritt. Der Tropfen zeigt sich wunderbar frisch und beweist, welches Potenzial auch trockene hochwertige Rieslinge haben, und dieser dürfte sich noch zwei bis drei Jahre weiter emporentwickeln. Stand heute schön als Aperitif, zu Kalbsbraten, Kalbsfilet oder Wildschwein. „Je nach Jahrgang, Lage und Witterung ist die individuelle Pflege jedes Weinbergs, ja Rebstocks – das sind immerhin ca. 80.000 – unser wichtigstes Anliegen“, betont man im Familienweingut Eppelmann, dessen wichtigste Sorten Riesling und die Burgunderfamilie sind.
Wer einen trockenen Sherry mag, dieser 2009 „Eckhard Walter“ Riesling trocken ist wunderbar sherrysiert, schon in der Farbe golden und wurde von unseren Prüfern mit 87 Punkten bewertet. Erzeugt vom Weingut Fritz Walter in Niederhorbach/Pfalz zeigt der Tropfen, dass ein gereifter trockener Riesling auch sehr schöne Sherrynoten entwickeln kann, die sich hier durchziehen von der Nase über den Gaumen, wo der Wein Wucht und Schmelz zeigt und kein bisschen müde ist, bis zu feinen Mandel- und Karamellnoten im Finish. Ein Tropfen für Liebhaber – wie eine große antike Bodenvase. Christine und Eckhard Walter führen das Weingut in fünfter Generation, zu dessen Terroirs Kalkböden, Buntsandstein und Löss zählen.
Mit viel schöner Kraft und Schwung zeigte sich der 2007 Schloss Gobelsburg Riesling Alte Reben vom Weingut Schloss Gobelsburg in Gobelsburg im österreichischen Topgebiet Kamptal, der mit 86 Punkten (ab 85 gilt bei uns als sehr gut) bewertet wurde: Anregend interessanter Duft eines gereiften Weins mit Anklängen an Tabak, Zuckermandeln, Karamell; wunderbar ausgewogener Körper, frisch mit Kraft, total rund, alle Ecken abgeschliffen mit belebend frischen Karamellnoten im Finish. Großartig, muss man probiert haben, um es zu glauben! Wir müssen den guten Rieslingen einfach mehr Zeit lassen. Ein Wein wie eine sehr sympathische ältere Dame! Ich glaube, die Reifung ist noch nicht am Ende. Da geht noch mehr. Glückwunsch an den Erzeuger! Stand heute wozu? Ich würde sagen zum Essen fast zu schade, ein Wein, den man solo genießt, der für sich spricht. Gobelsburg gehört zu Langenlois bei Krems. Die Weingärten erstrecken sich rund ums Schloss, wo jeder entsprechend seinen Eigenarten gepflegt wird, und man die best-geeigneten Sorten seit Jahrhunderten ausprobiert hat. So gedeiht dort heute an erster Stelle grüner Veltliner gefolgt von Riesling.
Und nochmals zwei edelsüße (violette Punkte) vom Weingut Albert Schwaab in Erden:
Aus 2006: Erdener Treppchen Beerenauslese – bestehend vorwiegend aus Riesling, die unsere Prüfer mit 92 Punkten bedachten: Schon in der Nase hohe Eleganz der Frucht und Süße; auf der Zunge Reife, Tiefe und eine Wucht der Frucht, die in einen nochmaligen Strauß tropischer Früchte im langanhaltenden Finish mündet. Ein Wein wie eine Gemäldegalerie, zum Genießen oder Anstoßen bei besonderen Anlässen. 10 Jahre gereift und noch lange nicht am Ende. Ich vermache ihm weiteres Potenzial nach oben für gut 10 bis 15 Jahre. Auch wer es vielleicht nicht glauben mag, aber solche Weine schaffen das!
Aus 1992: Erdener Treppchen Riesling Auslese – ebenfalls Schwaab: Auch hier zeigt schon die Nase die vollreife Eleganz des Rieslings; auf der Zunge sehr vielschichtig, weinig, weil ohne überbordende Süße; auch im Finish sehr vielschichtig und insgesamt noch animierend frisch – 91 Punkte. Ein Wein, der eine Geschichte erzählt, quasi in der Reife eines älteren Herrn, der viel erzählen kann. Passt zum erlesenen Fleischgang eines Festmenüs, wenn das Fleisch mit nicht zu dunklen Saucen gereicht wird – eine Kombination, die man selten erlebt.
Schade, dass wir solche Weine so selten genießen. Es entgeht uns etwas. Mit dem Kaufen wird es allerdings nicht ganz einfach. Oft sind sie vergriffen. Man muss eben eine Zunge dafür entwickeln, was man sich in seinem privaten Keller hinlegt. Das macht aber viel Freude. Wir werden in unserem Weinführer künftig noch mehr über die Haltbarkeiten und das Potenzial der Weine schreiben, wie wir bzw. die Prüfer es einschätzen. Das wird sehr interessant werden. Wir freuen uns schon darauf.
Text: Dieter Simon, Chefredakteur und Herausgeber bonvinitas. Aufmacher- und Zeitfoto bonvinitas, übrige Fotos PR sofern nicht anders angegeben.