Moselwein zur Blütezeit

zählte vor dem 1. Weltkrieg zu den teuersten Weinen auch international

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Von Ansgar Schmitz  6855
Moselwein zur Blütezeit zählte vor dem 1. Weltkrieg zu den teuersten Weinen auch international. Großes Bild: die Moselschleife bei Bremm, links die steilste Lage, der Bremmer Calmont. Bildnachweise siehe unten.' Moselwein zur Blütezeit zählte vor dem 1. Weltkrieg zu den teuersten Weinen auch international. Großes Bild: die Moselschleife bei Bremm, links die steilste Lage, der Bremmer Calmont. Bildnachweise siehe unten.
Wer mit Moselwinzern spricht, wird gelegentlich Anekdoten über das fast schon legendäre Renommée der Moselweine vor mehr als 100 Jahren hören. Und von den exorbitanten Preisen, die diese Weine damals erzielten, vom Urgroßvater, der mit dem Erlös von einem Fass Wein die kompletten Betriebskosten finanzieren konnte. Manche wird das tatsächlich für Legenden halten oder für Wunschdenken angesichts des hart umkämpften Weinmarktes im heutigen Deutschland.

Der Blick in historische Weinkarten liefert den Beweis

Ein Blick in historische Dokumente aus dem Kaiserreich zeigt, dass diese Geschichten keineswegs dem Reich der Märchen und Legenden entspringen, sondern bis ins Detail belegbar sind. Um 1900 erfuhr der Moselweinbau eine Blütezeit mit internationaler Anerkennung und Preisen, die häufig um ein Mehrfaches über denen der Weine aus Burgund und Bordeaux lagen.

„Fast über Nacht ist Mosella’s Ruhm emporgewachsen; er hat die Welt erfüllt und überall begeisterten Widerhall gefunden, wo der grüngoldige, flüchtige Trank mit seinem duftigen Aroma, seiner entzückenden Blume im Glas perlte, wo seine pikante Würze die Gaumen netzte, und seine lebensprühende Wärme die Herzen erglühen ließ, dass alle guten Geister darin wach wurden, nicht in letzter Linie auch, wo der nimmer müde Zecher nach schwerer Sitzung am anderen Morgen mit klarem Auge und frischen Sinnen erwachte...“ So überschwänglich charakterisiert der Kaiser-Keller in Berlin im Jahre 1901 den Wein von Mosel, Saar und Ruwer in seiner Weinkarte. Nicht weniger als 51 Weine aus der - im internationalen Maßstab doch recht kleinen - Anbauregion im Westen des Kaiserreiches führte der Kaiser-Keller Berlin in seiner Karte auf, die ältesten davon aus dem Jahrgang 1893.

Weinkarte Kaiserkeller, Berlin, 1901Kaiserkeller, Berlin, 1901, französische WeineKaiserkeller, Berlin, 1901, MoselKaiserkeller, Berlin, 1901, Saar- und Ruwersweine

Der Kaiser-Keller war ein Feinkostunternehmen, das neben Weinen vom Rhein, aus der Pfalz, von der Mosel und anderen deutschen Regionen auch Gewächse aus Burgund, Bordeaux, Österreich, Ungarn und anderen ausländischen Weinbaugebieten führte und seinen Kunden zudem Delikatessen wie Hummer und Kaviar anbot. So standen 1901 auch 30 rote und acht weiße Bordeaux sowie 13 Gewächse aus Burgund im Sortiment in Berlin.

Die besondere Position des Moselweines in dieser Weinkarte in Berlin ist kein Einzelfall. Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nimmt Wein von Mosel, Saar und Ruwer eine herausragende Stellung in den Restaurants Deutschlands und auch des europäischen Auslandes ein, vom Hotel-Restaurant „Drei Raben“ in München bis zum Palace Hotel in der britischen Hauptstadt London. Herausragend war nicht nur die große Auswahl an Moselweinen in der in- und ausländischen Gastronomie jener Zeit. Gewächse von Mosel, Saar und Ruwer waren meist auch die teuersten Weine auf den Weinkarten. Die Gäste jener Zeit bezahlten Preise für eine Flasche Steillagenwein von der Mosel, die zum Teil um das vier- oder fünffache über denen lagen, die im gleichen Restaurant für die hochwertigsten Grand Crus aus Burgund veranschlagt wurden.

Im Kaiser-KellerBerlin kostete im Oktober 1901 eine Flasche Weißwein des burgundischen Grand Crus Montrachet von Calvet & Co. aus dem Spitzenjahrgang 1893 fünf Mark – ein für damalige Verhältnisse schon hoher Preis. Doch verglichen mit einem Mosel-Riesling aus einer Spitzensteillage war es geradezu ein Schnäppchen. 18 Mark musste zahlen, wer im Kaiser-Keller in den Genuss einer Flasche 1893er Brauneberger feinste Auslese (Lieferant Kühlwein & Co., Trier) kommen wollte. Und gar 20 Mark, viermal so viel wie der Montrachet, notierte die 1893er Zeltinger Schlossberg Auslese aus dem Wachstum von E. Puricelli und geliefert von Deinhard & Co., Coblenz in dieser Weinkarte. 

Dieser Riesling aus der Schiefersteillage war auch fast doppelt so teuer wie das berühmteste weiße Gewächs aus Bordeaux, der 1893er Chateau Yquem „grand vin étampé“, der zwölf Mark kostete. In derselben Preislage rangierten die höchsten klassifizierten roten Bordeaux aus dem 1893er Jahrgang: der Chateau Haut Brion I. vin (also der Erstwein, die beste Qualität des Weingutes) war für elf Mark zu haben, der 1893er Chateau Margaux I. vin für zehn Mark.

Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Blick in andere gastronomische Weinlisten der Zeit um 1900. Im Palace Hotel in London ist im Jahre 1907 ein 1900er Berncasteler Doctor Feinste Auslese mit acht Pfund der mit Abstand teuerste Weißwein. Top-Weine aus Burgund wie Meursault und Montrachet aus dem Jahrgang 1899 notieren bei 2,50 bis 3,50 Pfund pro Flasche, rote Burgunder wie Chambertin, Romanée und Clos de Vougeot aus dem Spitzenjahr 1893 kosten vier bis fünf Pfund. 

Weinkarte Palaca Hotel London 1907Palace Hotel London 1907 - MoselPalace Hotel London 1907 - Frankreich

Steillagen-Rieslinge von Mosel, Saar und Ruwer waren damals der internationale Maßstab für höchste Qualität und höchste Preise beim Weißwein. Heute würde man von „benchmark“ sprechen. Die Rebsorte Riesling taucht in den Listen nie auf, ebenso wenig wie Chardonnay oder Pinot noir bei den Weinen aus Burgund oder die jeweiligen Rebsorten bei den anderen Weinregionen. Die Herkunft war entscheidend. 

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Blick in die Geschichte des Mosellands – ab 1815 zu Preußen

Diese Blütezeit des Moselweines um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hätten sich die Winzer an der Mosel und ihren Nebenflüssen ein halbes Jahrhundert früher kaum träumen lassen. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war für die Moselregion eine sehr wechselhafte Zeit. Die französischen Revolutionstruppen unter Napoleon Bonaparte brachten das Ende des Kurfürstentums Trier und damit auch tiefgreifende wirtschaftliche Veränderungen für das Moselland und seine Bewohner. Der große Weinbergsbesitz der weltlichen und geistlichen Herrscher sowie der Klöster und Stifte wurde verkauft und ging in Privatbesitz über. 1815 wurde das Moselland beim Wiener Kongress dem Königreich Preußen zugesprochen. Damit gewann der preußische Staat erstmals ausgedehnte Weinbaugebiete. Zunächst wirkte sich dies positiv auf den Moselweinbau aus. Gute Weinjahrgänge sowie die Zoll- und Steuerpolitik begünstigten die Weinwirtschaft.

Diese Phase war nicht von langer Dauer. Nach Gründung des Zollvereins 1833 fielen bis 1838 die innerdeutschen Zollgrenzen weg. Der Moselweinbau spürte nun nicht nur die Konkurrenz der anderen großen deutschen Weinregionen. Auch die Natur ließ die Winzer in den 1830er Jahren weitgehend im Stich, schlechte Ernten verschärften die wirtschaftliche Not. Tausende Winzerfamilien suchten das Heil in der Auswanderung. Bis in die späten 1850er Jahre hatten die Winzer an Mosel, Saar und Ruwer aufgrund von Witterung und Schädlingen mit vielen schlechten Weinjahren zu kämpfen.

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Förderung durch den preußischen Staat – die erste Weinbau-Karte 1868

Die erste Weinbaukarte 1868 - Impressum. Quelle: www.vinolismus.comDer Jahrgang 1857 brachte eine Wendung zum Besseren. Es gab eine Reihe von guten Weinjahrgängen. Neben der Gunst der Natur spielten aber auch verbesserte Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle bei dem Aufstieg des Moselweinbaus und seiner internationalen Wahrnehmung. Die preußische Regierung förderte den Weinbau durch die Einrichtung von Weinbauschulen sowie mit Empfehlungen für eine bessere Weinbergsarbeit sowie spätere und selektive Lese. Weingutsbesitzer taten sich zusammen, um ihre besten Fässer bei öffentlichen Versteigerungen anzubieten. Der Weinhandel wurde damit transparenter und lenkte zudem öffentliche Aufmerksamkeit auf besondere Jahrgänge, Lagen und Erzeuger. Die 1868 erstmals veröffentlichte Weinbau-Steuerkarte für den Regierungsbezirk Trier mit der Darstellung der Weinbergslagen ist ein Meilenstein dieser Entwicklung und bis heute ein wichtiges Marketinginstrument. 

Die Weinbau-Karte Saar und Mosel 1868. Quelle: Weingut VanVolxem

Anmerkung der Redaktion: Die Karte ist gerahmt als schöne Reproduktion zu erstehen bei: www.vinolismus.com/geschenke/.

Der Bau der Eisenbahn brachte die bessere Anbindung

Historisches Foto von 1880 mit einer Ansicht des Orts Bullay (rechts im Bild) und der Doppelstockbrücke Alf-Bullay über die Mosel. Quelle: Gemeinde BullayDie Infrastruktur der Region und damit der Vertrieb der Weine wurden durch den Bau der Eisenbahnlinie Koblenz-Trier in den 1870er Jahren enorm verbessert. Die Weine konnten nun ganzjährig schnell und sicher zu den Absatzmärkten in ganz Preußen und darüber hinaus versendet werden. Die Weine mit dem charakteristischen Stil von Mosel, Saar und Ruwer wurden zu Trendweinen, deren Leichtigkeit und Bekömmlichkeit immer wieder in den Medien, Büchern und anderen Publikationen gelobt wurden.

 

 

Der Riesling

Riesling. Foto: bonvinitasDie Rebsorte Riesling in der besonderen Kombination mit dem „Terroir“ der Moselregion bildete ebenfalls einen wichtigen Faktor. Die „harte“ (nicht frostempfindliche) und spät reifende Sorte konnte im relativ kühlen Klima an der nördlichen Verbreitungsgrenze des Weinbaus auf den nach Süden gerichteten Schieferhängen ihre Stärken ausspielen.

Den Anstoß für die Dominanz des Rieslings im Moselgebiet hatte bereits der letzte Kurfürst von Trier im späten 18. Jahrhundert gegeben. Doch die Preußen waren es, die diese Rebsorte zum Durchbruch verhalten. 1879 lag der Rieslinganteil im Gebiet bei 42 Prozent und stieg dann in nur 27 Jahren auf 88 Prozent im Jahre 1906 an. Viele neue Weinberge, die in dieser Zeit angelegt wurden, waren mit Riesling bestockt. Die Rebfläche lag in den 1850er Jahren bei rund 6.000 Hektar. 1908 weist die Statistik 6.767 Hektar Ertragsrebfläche aus, die bis 1919 auf knapp 8.000 Hektar wuchs.

Viele positive Faktoren sorgten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts also für eine Aufwärtsentwicklung im Moselweinbau. Offenbar trat parallel zu dieser Entwicklung an der Mosel eine Änderung im Weinverständnis und -geschmack der Konsumenten ein. Felix Meyer schreibt Anfang der 1920er Jahre in seinem umfassenden Standardwerk über den Mosel-Weinbau und -Weinhandel im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts: „Früher bevorzugten die Deutschen schwere, plumpe und alte abgelagerte Rhein- und Bordeauxweine – heute die leichten, süffigen, rassigen Moselweine.“ 

Die Wein-Versteigerungen

Naturweinversteigerung - wahrscheinlich in Trier um 1900. Quelle: VDP„Die Moselweine sind so begehrt, dass sie zu steigenden Preisen gehandelt werden. Auf den Versteigerungen angelegte Höchstpreise…hätte man früher nicht für möglich gehalten“, heißt es im „Sonder-Katalog der Ausstellung Deutscher Weine“ zur Weltausstellung 1900 in Paris. „Die Preisentwicklung bei den Spitzengewächsen machte sich auch positiv bei den Basisweinen von der Mosel bemerkbar: „Die kleineren und mittleren Qualitäten… werden sonst nirgendwo so gut bezahlt als hier“, berichtet der Sonder-Katalog von 1900.

Der blühende Weinbau und Weinhandel brachte den Menschen im Moselland Ende deutlich sichtbaren Wohlstand, der bis heute das Gesicht vieler Moselorte prägt. Weingutsbesitzer und Weinhändler ließen sich großzügige Villen errichten. An den Uferstraßen in Bernkastel, Kues und Wehlen reihen sich noch heute die aus Schieferbruchstein gebauten herrschaftlichen Häuser aneinander. Besonders sticht Traben-Trarbach hervor. Dort wurden etliche Villen im Jugendstil errichtet. Zahlreiche große Kellereien hatten in Traben-Trarbach ihren Sitz und machten das Städtchen zum Haupthandelsplatz für Moselweine und – nach Bordeaux - zum zweitwichtigsten Handelsplatz für Weine in der ganzen Welt. 

Über 100 Jahre später ...

Mehr als 100 Jahre später wird dem Steillagen-Riesling von Mosel, Saar und Ruwer von Weinkennern weltweit wieder die Wertschätzung entgegengebracht, die er Ende des 19. Jahrhunderts genoss. Der einzigartige, mineralische, filigrane Charakter der Gewächse von den Schiefersteilhängen setzt seit einigen Jahren wieder Maßstäbe in der Welt des Weines. Die Preise sind zwar nicht mit denen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts vergleichbar. Doch für Spitzenweine aus den besten Lagen werden auch heute bei Versteigerungen Rekordpreise erlöst. Wie im 19. Jahrhundert ist es auch aktuell die Erkenntnis, dass die Kombination von Rebsorte, besonderen Boden- und Klimabedingungen sowie handwerklichem Können und weinbaulichem Wissen an Mosel, Saar und Ruwer Weißweine erbringt, die ihresgleichen in der Welt suchen.

Text: Ansgar Schmitz
Bildnachweise: Aufmacher - Weinlese: Weingut & Gästehaus Gerd Müllers, Kröv: https://weingut-gerd-muellers.deAndere Fotos wie angegeben, falls Urheber bekannt.

Die schönen Etikettenbilder stammen von der riesigen Sammlung historischer Weinetiketten von Deutsche Freundeskreis Weinetiketten-Sammer: www.weinetikettensammler.de

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