Deutsche „Grand Cru Lagen“? Herkunft versus Öchsle

Viel Diskussion, Gesetzesänderungen, noch mehr Wein-Qualität?

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Deutsche „Grand Cru Lagen“? Herkunft versus Öchsle' Deutsche „Grand Cru Lagen“? Herkunft versus Öchsle
Eine in der Öffentlichkeit kaum beachtete Gesetzesänderung wirft ein Licht auf die lebhafte Diskussion in Verbänden und Politik zu den Qualitätsstandards im deutschen Weinbau. Denn mit der Harmonisierung des EU-Weinrechts 2008, nochmals präzisiert 2013, bekamen wir grundsätzlich das französische Weinrecht, das die Qualität an die Herkunft knüpft. Geschützte Ursprungsbezeichnung, Abkürzung g.U., lautet das Zauberwort. Nur haben wir das in Deutschland nicht mitgemacht, sondern an unserem überkommenen Qualitätsweinsystem, das sich vorwiegend an Öchsle orientiert, mit den 13 Anbaugebieten festgehalten und mit Hilfe des Gesetzgebers die 13 Anbaugebiete kurzerhand als g.U. definiert, ohne sie so zu nennen, um der EU zu genügen. So hat man das Öchsle-System „gerettet“. Doch bekanntlich wird die Qualität eines Weins von vielen weiteren Faktoren bestimmt, wie Böden oder Kleinklima, kurz die Terroirs, sowie Hektarerträge und die Art der Weinbereitung. Viele deutsche Winzer nutzen dies schon lange und haben glücklicherweise weit über die gesetzlichen Mindestgrenzen hinaus großartige Qualitäten in Glas gebracht. Nun ist die Diskussion im Gang, ob wir uns nicht mehr am EU-Weinrecht ausrichten und welche Chancen das bietet.

Das französische System

Jeder kennt die französischen „Appellations d'origine contrôlées“ (AOC). Bei denen wird festgelegt, welchen Qualitätsstandards ein Wein dieser Herkunft genügen muss, wobei der Charakteristik des Gebiets Rechnung getragen wird. Die Gebiete sind, teils bis in kleine Lagen hinein, genau abgegrenzt, teils noch mit weiteren Qualitätspyramiden wie Grand Cru oder Premier Cru, alles gebietlich genau festgelegt. Denn Qualität wächst nun einmal im Weinberg, nicht im Keller. Dort kann man sie nur herausarbeiten, schlimmstenfalls Fehler machen. So ist es logisch, Qualitätsstandards an die Herkunft zu binden und nicht vorwiegend an Öchsle. Ein weiterer Vorteil des französischen Systems sind die seit langem fungierenden „Conseils interprofessionnels du vin“, in denen Winzer wie Marktpartner je nach Jahrgang z.B. Höchsterträge festlegen. So ist das System berufsständisch flexibler. Wer mehr geerntet hat, muss die Übermenge abstufen bis hin zu einfachem französischen Wein und riskiert, dass auch der Hauptteil den Kriterien nicht genügt. 
 
Andere EU-Länder haben von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, wie Italien mit seinen DOC oder DOCG Weinen (Denominazione di origine controllata – bzw. garantita) oder neuerdings Österreich mit DAC (Districtus Austriae Controllatus). Reinhold Hörner, Präsident des Weinbauverbands Pfalz: „Diese Regelung wurde eigentlich schon vor 10 Jahren beschlossen, nur in Deutschland nicht umgesetzt. Man hat nicht erkannt, welche Möglichkeiten sich damit eröffnen.“

Neu: Mehr Flexibilität in Deutschland

Volker Wissing, rheinland-pfälzischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau: Die Schutzgemeinschaften haben die Qualitätskriterien selbst in der Hand.Bisher war bei uns alles gesetzlich festgezurrt. Nun kommt Bewegung ins Bild. Qualitätsstandards regional beantragen und noch mehr regionales Profil gewinnen sind die Neuerungen, mit denen die Weinerzeuger nun im weingesetzlichen Rahmen durch die Bildung entsprechender beruflicher Organisationen mehr Spielraum erhalten. Diese können nun Änderungsanträge in Bezug auf Weinspezifikationen bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung stellen, ohne dass gleich die Gesetzgebungs- oder Verordnungsmaschinerie angeworfen werden muss. Festlegungen durch Berufsgemeinschaften waren nach EU-Weinrecht bereits möglich. Doch auch davon hatte Deutschland bislang keinen Gebrauch gemacht. Nun hat der Bundestag per 26. Juni 2017 das deutsche Weingesetz entsprechend gelockert und den Landesregierungen übertragen, per Verordnung solche „Organisationen zur Verwaltung herkunftsgeschützter Weinnamen“, wie das auf Amtsdeutsch heißt, zuzulassen, im allgemeinen Sprachgebrauch der Weinbranche Schutzgemeinschaften genannt. Damit entsteht ein Stück mehr Selbstverwaltung. Voraussetzung ist die allerdings etwas engherzige Regel, dass 2/3 der Weinbergsflächen und 2/3 der erzeugten Weine vertreten sein müssen. Jetzt hat Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland per Verordnung, die am 1.1.2018 in Kraft trat, bestätigt, solche Organisationen anzuerkennen, wenn sie den Kriterien entsprechen.

Bildung von Schutzgemeinschaften in Rheinland-Pfalz

Eberhard Hartelt, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd e.V.: Die Stärkung der Selbstverwaltung der Winzer sehen wir sehr positiv.
Gerd Knebel, Geschäftsführer im Weinbauverband Mosel u.a. sieht die Qualitätsvorgaben wie die Landesweinverordnung. Foto: Klara Prämassing

Eberhard Hartelt, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd e.V.: „Die Stärkung der Selbstverwaltung der Winzer sehen wir sehr positiv. Die Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen in die regionale Weinwirtschaft birgt großes Potential für die zukünftige Entwicklung der Weinanbaugebiete. Zu diesem Zweck werden in Rheinland-Pfalz gerade Schutzgemeinschaften gegründet (bisher nur auf dem Boden der sechs traditionellen Rheinland-Pfälzer Weinbaugebiete – Anmerkung der Redaktion), in die alle Gruppierungen der Trauben- und Weinproduktion einbezogen werden, Genossenschaften, Weinbau und Kellereien mit entsprechender Gewichtung.“

Hartelt weiter: „Die Schutzgemeinschaften werden für die Verwaltung der EU-Lastenhafte zuständig sein, in denen alle Spezifikationen für die Weinanbaugebiete (dazu noch eine Bemerkung unten) als geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) enthalten sind. Dadurch ergibt sich die Chance, stärker auf die regionalen Anbaubedingungen einzugehen, was der Weinqualität entgegenkommen wird. Auch eine mögliche Umgestaltung des Qualitätssystems hin zu einer herkunftsbezogenen Klassifikation ist in der Diskussion. Darüber hinaus können bestimmte Vorgaben zu Rebsorten, Geschmacksangaben, Mindestmostgewicht oder Hektarerträge dazu beitragen, das Profil eines Anbaugebietes zu schärfen. Noch sind wir ganz am Anfang dieser Entwicklung. Unabhängig von der eingeschlagenen Richtung ist es aber von großer Wichtigkeit, dass alle von den Vorteilen des neuen Systems profitieren – Erzeuger und Verbraucher.“

Nach Gerd Knebel, Geschäftsführer im Weinbauverband Mosel u. Weinbauverband Mittelrhein im Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau e.V. sind: „Die Qualitätsvorgaben in den Lastenheften im Prinzip gleich zu setzen mit den gesetzartigen Regelungen der Landesweinverordnung.“ Man höre und staune!

Der rheinland-pfälzische Weinbauminister, Volker Wissing gibt ihm Recht: „Die Schutzgemeinschaften haben es selbst in der Hand, die Qualitätskriterien, die Anforderungen an die Weine ihrer Mitglieder zu bestimmen."

Die erste kleinere deutsche geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.): der Bürgstadter Berg

Der Bürgstadter Berg: Erste kleinere deutsche g.U. Foto: K.J. Hildenbrand © LWG
Sebastian und Paul Fürst. Foto: Gert Krautbauer
VDP-Präsident Steffen Christmann: Wir brauchen klare Profile für die Orte und Lagen.
Auch wenn im Moment vieles im Fluss ist, spürt man von den Weinbauverbänden her – laut Tonlage Hartelt oben – dass man eher am System der 13 Anbaugebiete festhalten will. Doch der Käse hat Löcher. Es ist den Winzern freigestellt, nach EU-Recht kleinere Schutzgemeinschaften auf entsprechenden Terroirs mit bestimmten Qualitätskriterien zu gründen und kleinere g.U. zu beantragen, bis hin zu großen Winzern, die manche Lagen alleine besitzen. Man wird sehen, wo die Reise hingeht. Die erste deutsche g.U., die sage und schreibe nach fünf Jahren Verwaltungsprozedur eingetragen wurde, ist der „Bürgstadter Berg“ in Bürgstadt am Main/Franken. Motor war das dortige VDP Weingut Rudolf Fürst. Die g.U. Bürgstadter Berg beruht auf einer solchen Schutzgemeinschaft mit rund 100 Eigentümern. Bewirtschaftet werden um 65 ha Reben von 25 aktiven Winzern. Senior Paul Fürst: „Grundlage sind die Geografie und die Geologie auf Grund der eisenhaltigen Buntsandsteinböden, die sich in unserer Region voll durchziehen.“ Weitere Anträge an der Mosel und an der Nahe seien im Laufen. 

An den dreizehn deutschen Weinbaugebieten festhalten, oder kleinere Gebiete bis hin zu „Grand Cru Lagen“ bilden?

Vorneweg, „Grand Cru“ haben sich die Franzosen schützen lassen. Doch der VDP (Verband deutscher Prädikatsweingüter) erwies sich als Vorreiter und hat eine solche Qualitätspyramide für seine Mitglieder bereits eingeführt mit den Stufen: Großes Gewächs, Erste Lage, Ortswein, Gutswein. Die jeweiligen Flächen sind exakt bewertet und genau abgegrenzt. VDP-Präsident Steffen Christmann: „Im Prinzip gilt ja seit der Veränderung des EU-Rechts auch bei uns das Herkunftsprinzip. Der deutsche Weinbau hat bislang versucht, das zu ignorieren. Jetzt ist es an der Zeit, dass dies mit Leben gefüllt wird. Die Stärkung der Herkünfte ist ja schon lange das oberste Credo des VDP und so können wir aus Erfahrung sagen, dass dies bei den Konsumenten auch verstanden wird. Natürlich müssen alle Arten der Erzeugung einer Region aufgenommen werden, seien es die Genossenschaften, die Erzeuger von Kellereiware genauso wie der VDP.“
 
Laut Junior Sebastian Fürst ist allerdings nicht gesagt, dass g.U. notwendig Spitzenlagen sein müssen: „Wir wollten vor allem den alten Lagenamen Bürgstadter Berg wiedererstehen lassen und erhalten. Es ist jedoch eher eine Lage im Mittelsegment, kein Großes Gewächs“. In Bezug auf die Qualitätskriterien hat man sich mit der g.U. weitgehend dem Qualitätswein Franken angepasst, nur manches etwas strenger gefasst und den Sortenspiegel etwas eingeschränkt. 
 
Die Politik und Verbände sehen es anders. Wissing: „Meiner Ansicht nach ist eine erfolgreiche Positionierung der Weine am Markt nur möglich, wenn höhere Qualitätskriterien angelegt werden. Das haben viele Erzeuger bereits heute verinnerlicht. Sie produzieren erfolgreich Weine, die die gesetzlichen Mindestanforderungen bei weitem übersteigen.“ Knebel: „Für die g.U.-Regionen soll eine Herkunftspyramide eingeführt werden mit den Stufen Gebietswein als Basis, Bereich- oder Regionalwein als nächst höhere Stufe, Ortwein als dritte Stufe und Lagenwein als oberste Stufe. Dabei muss es eine Hierarchisierung geben nach dem Motto, die Qualitätsparameter in Stufe zwei müssen höher sein als in Stufe eins etc.“ Ob dies dann über die Verbände innerhalb der 13 Weinbaugebiete „von oben“ eingeführt wird, oder ob sich eher Schutzgemeinschaften „von unten“ durchsetzen, wird man sehen. 

Weinbezeichnungen – g.U. und das bisherige Qualitätsweinsystem neben- oder gegeneinander?

Die Rechtsauffassungen sind bislang auch hier verschieden. Nach Ansicht mancher Weinbauverbände ist der Pferdefuß, dass wenn Weine aus anerkannten g.U. Lagen oder Gebieten in machen Jahren witterungsbedingt die strengen Kriterien nicht erreichen, der Winzer die Gewächse nicht wieder in das bekannte deutsche Qualitätsweinsystem zurückschlüpfen lassen kann, sondern sie dann nur (!) noch Deutscher Wein sind. So meint man, dass nicht viele Winzer dieses Risiko eingehen. Minister Volker Wissing, sieht es anders: „Die deutsche Rechtslage lässt derzeit jedoch unzweifelhaft die Verwendung der Namen der Anbaugebiete auch bei kleineren g.U. zu.“ 
 
Nach meiner Auffassung könnten die deutschen Qualitätsbezeichnungen bei g.U. komplett entfallen. Es könnte z.B. heißen „g.U. Bürgstadter Berg Weißburgunder“ mehr nicht, auch Franken könnte entfallen. Es bräuchte dann nur noch die lebensmittelrechtliche Verkehrsbezeichnung „Wein“ und die üblichen Angaben wie Erzeuger, Alkoholgehalt, Menge usw. Aus Frankreich kennt man ja z.B. „Appellation Médoc contrôlée“, Bordeaux steht dann nicht mehr dabei. Doch hier gibt es Gestaltungsfreiheiten. Man findet in Frankreich auch Weine, wo das übergeordnete Gebiet mit auf dem Etikett steht. Sebastian Fürst: „Nach langer Abstimmung mit allen Institutionen schreiben wir ganz normal „Deutscher Qualitätswein Franken“ und Bürgstadter Berg nur als Lage. Es ist also auch hier spannend, wo die Reise hingeht. Und was geschieht mit den deutschen Prädikaten, wie z.B. Spätlese? Es sind Bestrebungen im Gange, diese süßen Weinen vorzubehalten.  

Was haben die Weinfreunde davon?

Aus meiner Sicht macht es absolut Sinn, Wein stärker nach der Herkunft einzustufen und zu benennen, nach genau abgegrenzten Gebieten, dafür festgelegten und kontrollierten Qualitätsstandards und einem bestimmten Geschmacksprofil. Das genau war und ist das Ziel des EU-Weinrechts. Dort heißt es: „"Ursprungsbezeichnung" bezeichnet den Namen einer Gegend, eines bestimmten Ortes oder in … Ausnahmefällen eines Landes, der zur Bezeichnung eines Erzeugnisses … dient, das folgende Anforderungen erfüllt: Es verdankt seine Güte oder Eigenschaften überwiegend oder ausschließlich den geografischen Verhältnissen einschließlich der natürlichen und menschlichen Einflüsse (Art. 93, EU-Verordnung Nr. 1308/2013)“, so eine Grundregel. 
 
So darf der Weinfreund unter einer g.U. einen bestimmten Weintyp bestimmter Qualität erwarten. Wobei es auch Sinn macht, jeweils den Sortenspiegel enger einzugrenzen. So darf z.B. Champagner ja nur aus blauem Spätburgunder, Meunier (Schwarzriesling) oder Chardonnay bestehen. Im Gegensatz dazu ist das Spektrum, was einem unter Deutscher Qualitätswein eines bestimmten Weinbaugebiets erwartet, riesig. 
 
Wenn dazu Qualitätsstufen eingeführt werden, wie es der VDP vorexerziert, bringt dies noch mehr Klarheit. Auch das können die Schutzgemeinschaften beantragen, wenn sie wollen. In Frankreich gibt es Grand Cru und ähnliches, doch lange nicht für alle AOC-Gebiete. Nach Ansicht von Knebel muss sich der Verbraucher dann darauf verlassen können, „dass die kleinste Herkunft auf dem Etikett, die Lage, die höchste Wertigkeit hat, weil hier die Qualitätsparameter entsprechend hoch angesetzt sind. Das Motto, je kleiner die Herkunftsbezeichnung auf dem Etikett, desto höher die Qualitätsansprüche an diesen Wein, ist jedenfalls einfacher zu verstehen, als eine 2017er Kerner Spätlese aus alten Reben aus der Steillage mit Großlagenbezeichnung für 2,49 € im Regal eines Discounters. Genau das soll und kann das neue Bezeichnungsrecht verhindern. Es geht auch um Glaubwürdigkeit und Schaffung von Wertigkeit für bestimmte Bezeichnungen.“
 
Christmann: „Am Schluss muss alles logisch aufeinander aufbauen. Der deutsche Weinbau als Ganzes braucht für den Discount und den LEH schon einfachere deutsche Weine oder gut zugeschnittene geschützte geographische Angaben, wie z. B. Rhein. Dann müssen die Anbaugebiete als g.U. schon ein deutliches Mehr an Individualität und Anspruch erfüllen, und schließlich brauchen wir klare Profile für die Orte und Lagen, bis dahin, dass diese von Ort zu Ort unterschiedlich sein können. 
 
Man spürt, dass viel in Bewegung gekommen ist, auch wenn vieles noch diskutiert werden muss. Meiner Meinung nach bieten Herkunftsbezeichnungen, welche die Qualitätsstufe definieren, für den deutschen Wein gerade auch im Zuge des Klimawandels große Chancen, und man darf sich auf die weitere gute Entwicklung der Qualitäten freuen. Damit Prost! Dieter Simon, Chefredakteur und Herausgeber bonvinitas.

Fotos: PR, sofern nicht anders angegeben.

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