Lecker-Land ist abgebrannt
aufrüttelndes Buch über wie wir uns ernähren von Manfred Kriener
https://bonvinitas.com/media/reviews/photos/thumbnail/780x560c/3d/3b/1a/leckerland-ist-abgebrannt-42-1587655132.jpgVom Gammelfleisch zu Supperfood
Heute spielen Themen wie Überfischung der Meere, Gammelfleischskandal, Küken schreddern, Masttierhaltung, Medikamenteneinsatz in den Aquakulturen, teures Superfood, Essen, das tausende Kilometer gereist ist und den Menschen in den Herkunftsländern mehr schadet als nutzt, etc. eine große Rolle. Fleischesser werden fast schon zu Sündenböcken. Vegetarisch, vegan und das in extremen Varianten, sind angesagt. Ein Biosiegel jagt das andere. Der Biomarkt boomt. Bio ist zum Geschäft geworden, das die Nischen verlassen und die Supermärkte erobert hat. Aber weiß eigentlich jeder von dem was er da isst oder trinkt, wo es herkommt, wie es entstanden ist, wer dahinter steckt. „Leckerland ist abgebrannt. Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur’ von Manfred Kriener bringt Licht in diesen Grauzonenbereich. Es legt den Finger in die Wunde und beleuchtet, was rund um unsere Ernährung schief läuft. Manfred Kriener, Journalist und Autor, gehört zur Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz. Später war er Gründungschefredakteur des Slow-Food-Magazins und des Umweltmagazins zeozwei. Er schreibt als freier Journalist über die Themen Klima, Umwelt, Essen und Trinken. Dieses Buch ist alles andere als ein Ratgeber. Es verteufelt auch nicht diese oder jene Essensgewohnheit.
Unbequeme Wahrheiten
Dieses Buch klärt auf, vermittelt Wissen in dieser unübersichtlichen Gemengelage. Kein erhobener Zeigefinger. Kein doktrinäres Gehabe, sondern schlicht und einfach Fakten und Wahrheiten, die den Verbraucher wieder zu einem Souverän über seine Entscheidung, was er essen und trinken möchte, machen. Dass dies nicht trocken sondern manchmal mit einem Augenzwinkern, leicht ironisch oder satirisch zugespitzt daherkommt, ist dem wunderbaren Schreibstil des Autors geschuldet. Schon beim Vorwort von Vincent Klink weiß man, was was auf einen zukommt. Und diese Erwartungshaltung wird nicht enttäuscht.
Manfred Kriener hat ein sehr gut recherchiertes Informationspaket für die Leser geschnürt. Er beschreibt die neue Ernährungswelt sachkundig, kritisch und unterhaltsam. Auf 240 Seiten unterteilt in 11 Kapitel von A wie altes Fleisch bis Z wie Zucker führt Kriener die Leserschaft durch die Welt von Essen und Trinken. Eine Art Orientierungshilfe für nachdenkliche und bewusste Verbraucher.
Werden wir zu Besseressern?
Essen mutiere mittlerweile zur Religion und das Handy gehöre beim Essen sozusagen mit zum Besteck. Kochkurse als Landplage. Bei Megatrends wie „Supperfood“, „Low Carp“ oder Clean Eating toben sich Besseresser aus und überschwemmen den Kochbuchmarkt. Exotik ist angesagt. Das „Normale“ bleibt auf der Strecke. Vom Leberwurstbrot zum Garnelenburger. Weg von der Region. Es sind nicht nur lockere Sprüche, die Kriener da macht, sondern er unterfüttert diese mit entwaffnenden Wahrheiten, die manchmal richtig weh tun. Er hält seinen Lesern den Spiegel vor. Er hinterfragt nicht nur, warum Wurst billiger ist als Hundefutter oder Milch billiger als Mineralwasser. Er fragt auch wie es kommt, dass „Essenbringdienste“ wie Pilze aus dem Boden schießen und es möglich machen, dass ein Marktführer wie „Delivery Hero“ im zweiten Quartal 2019 mit 319 Mio. Euro seinen Erlös fast verdoppeln konnte. Traurige Wahrheit. Nur noch 42% essen zu Hause. Essen als Notwendigkeit. Aber ausgefallen muss es sein. Keine Kartoffel, dafür Quinoa, bunte Sushi Röllchen statt Kartoffelbrei mit Nussbutter.
Metzgereien und Bäckereien als Handwerksbetriebe sterben aus. Gegessen wird heute unterwegs. Industrielle Bäckereien dominieren die Großstädte. Von 1980 bis heute ist die Zahl der eingetragenen Bäckereibetriebe um 2/3 zurückgegangen. Ähnlich bei den Metzgern. Im Kapitel „Nichts vom Tier“ deckt Kriener die Widersprüche der Veggiebewegung auf und kritisiert deren Missionarstum. Man isst nicht nur vegan, man lebt vegan. Waren es früher Nischen sind es heute Großfirmen wie Nestle. Große Fleischproduzenten die „Rügenwalder Mühle“ oder „Wiesenhof“ die sogar Kooperationen mit „Proveg“ oder „Peta“eingehen. Mittlerweile gibt es sogar Veggiefirmen an der Börse. Veggie als Geldmaschine.
Richtig heftig wird es bei der Gegenüberstellung von Fleisch aus Hausschlachtung und der Herstellung von Laborfleisch, hergestellt aus Rinderstammzellen. Eine Entfremdung des Menschen von seinem Nahrungsmittel. Kriener schlägt hierbei eine Bresche für die Vielfältigkeit von Fleisch, versehen mit den nötigen Untertönen selbiges nicht im Übermaß zu essen und darauf zu achten, dass es von, dem Tierwohl verpflichtenden Betrieben kommt. Mit erschreckenden Fakten wartet Kiener auch in dem Bereich Geflügel auf. Schnelle und billige Mast mit Ställen bis zu 130. 000 Tieren.
Soja Anbau statt Regenwald. Lieber so nein!
Sehr kritisch beleuchtet er die Abholzung des Regenwaldes wo z.B. durch Rodung nun auf 4 Mio. ha Soja für den chinesischen Markt angebaut wird. Ihr „Fett weg“ bekommen auch die „Supperfoods“ wie Quinoa oder die Goji Beere, die sich laut Expertisen gut durch regionale Produkte ersetzen ließen und dessen erhöhte Anbauzahlen zu Lasten der dortigen Kleinbauern gehen. Im Bereich Fisch beschäftigt sich Kriener insbesondere mit den Aquakulturen, der Überfischung der Meere, der Verarbeitung von Fischen zu Fischmehl, was letztlich dann zur Tierfütterung verwendet wird. Es ist unmöglich auf all das, was Kriener aufzeigt einzugehen. Ist es doch zu komplex und mannigfaltig. Seine Recherchearbeit ist hoch zu loben und auch seine für diese Aufgabe nötige Distanz.
Auch beim Trinken aufpassen!
Nur auf ein Kapitel möchte ich als Fachjournalist für Wein doch noch näher eingehen, wen wundert‘s. Das Kapitel „Wein, Liebe atmend und versöhnt“ steht nicht umsonst am Schluss des Buches. Aber Kiener wäre nicht er, würde er nicht auch in diesem edlen Getränk einen Wermutstropfen finden. In seiner Aussage „Wein ist zu 20 % Geschmack und zu 80 % Illusion liegt sicherlich ein Tröpfchen Wahrheit. Oder wie erklären sich sonst die Preise, die für einen teuren Bordeaux bezahlt werden. In einem Gebiet, wo die Produktionskosten nur 20 % von denen an der Mosel betragen und wo auch heute noch ein weitgehend unkontrollierter Pestizideinsatz stattfindet. Kriener bricht eine Lanze für die mittlerweile hohe Qualität deutscher Weine, die sich hinter denen des Nachbarlandes nicht zu verstecken braucht. Er kritisiert allerdings auch die Schnäppchenpreise sowie die etwas lasche Haltung des VDP bei der Lageneinstufung bei den für Große Gewächse geeigneten Weinberge. Auch seine Streifzüge zu „Natural und Orange Weinen“ zeugt von sachlicher Kompetenz und gutem Urteilsvermögen. Dass Kriener es nicht nur bei der Kritik belässt sondern auch nach Möglichkeiten der Besserung sucht, wird in dem Interview dass er mit Benedikt Härlin, Fachmann in Sachen Welternährung und Agrarentwicklung ,geführt hat, deutlich. Auf 36 Fragen gibt dieser Antwort wie aus seiner Sicht eine positive Entwicklung in Sachen Ernährung aussehen könnte.