Interview mit FRANZ KELLER - einer der ambitioniertesten Köche Deutschlands
Die Kontrolle über die Ernährung zurückgewinnen - ein ernster Weckruf!
https://bonvinitas.com/media/reviews/photos/thumbnail/780x560c/15/88/54/interview-mit-franz-keller-einer-der-ambitioniertesten-koeche-deutschlands-54-1591280641.jpgbonvinitas: Wieviel Zeit ist vergangen seit der Abgabe des Manuskriptes von AB IN DIE KÜCHE? Wie hat sich die Situation in der Zwischenzeit entwickelt? Schlechter, gleichbleibend oder möglicherweise verbessert?
Franz Keller: Da hat sich leider nix geändert. Hinter den Kulissen gärt es ein bisschen. Ich habe eher das Gefühl, dass die, die Mist produzieren sogar noch Oberwasser kriegen…
bonvinitas: Ist die Corona-Krise nicht ein längst fälliger Weckruf gewesen?
Franz Keller: Das wusste man doch schon seit einigen Jahren und es wollte sich doch keiner vorstellen, dass dafür so ein komisches Virus sorgt.
bonvinitas: … und plötzlich entdeckt man, dass etwa industrielle Groß- Fleischbetriebe, mit unzähligen ausländischen Arbeitskräften in fast allen Regionen Deutschlands, diese mehr oder weniger wie Sklaven halten. Wenn Sie Landwirtschaftsminister wären, welche Verbote (denn mit Freiwilligkeit kommt man erfahrungsgemäß nicht sehr weit), würden Sie sofort erlassen. Selbst auf die Drohung einiger Großschlachtereien hin, dann billig im Ausland zu produzieren?
Franz Keller: Also, es gibt immer noch Betriebe, die vorschriftsmäßig, die anständig arbeiten, Und diese müssen Leiharbeiter engagieren. Ohne diese zusätzlichen Aushilfen könnten diese Betriebe nicht existieren. Es liegt an den Endverbraucher Preisen, die wir haben. Weil wir Deutsche noch immer so doof sind und die billigste Scheiße kaufen, aber für unser Auto kaufen wir das teuerste Motorenöl. Der andere Grund ist der, dass man immer das auf den Markt bringt, was gefördert wird.
Ich arbeite mit einem Betrieb zusammen, der hat 160 feste Mitarbeiter und 100 Leiharbeiter. Und diese Betriebe könnten alle nicht existieren, wenn sie keine Leiharbeiter hätten. Das sind zum Teil Arbeiten, für die kriegt man keinen Deutschen mehr. Und das ist ein Phänomen in allen Wohlstandsgesellschaften. Die Amerikaner machen das mit ihren Illegalen, die sie angeblich gar nicht wollen, aber die sie alle brauchen. Bei uns in Deutschland ist es noch einigermaßen geregelt. Nur das, was man vergessen hat zu regeln, das kommt eben jetzt ans Tageslicht. Und dann werden auch solche Betriebe gleich mit gebrandmarkt, die schon immer anständig arbeiten. Es gibt überall schwarze Schafe, quasi in jedem Metier, auch in der Gastronomie. Und die gastronomischen Bertriebe, die schon immer Mist produzieren, die am wenigsten arbeiten und den Mist aus der METRO verkaufen, werden locker überleben, denn die verdienen am meisten damit. Dass sich bei den Agrarsubventionen in Deutschland und in Europa etwas ändern muss, das ist längst überfällig. Nur das Problem ist, wenn wir in Deutschland etwas alleine machen wollen, dann kommen etwa die Hühnerfabriken ins Ausland, nach Polen oder sonst wo hin, was weiß ich… und dann kaufen wir den Mist halt aus dem Ausland.
bonvinitas: Wenn Sie eine Note von 1-6 , wie in der Schule zu vergeben hätten, wie würden Sie den TV-Auftritt der Agrarministerin mit Ihrem Kollegen Johann Lafer bewerten. Da war ja dick und deutlich Kaufland im Hintergrund zu lesen.
Franz Keller: Die gehen ja immer dahin, wo der Widerstand am geringsten ist, haben keine Ahnung, weil sie einfach nicht intelligent genug sind, um zu wissen, in welchen Dimensionen sie sich bewegen. Aber das, was sie dann alles anstellen, das ist das Problem. Und Noten mag ich keine vergeben,...
bonvinitas: Haben Sie Hoffnung, dass endlich eine Umkehr in der Mentalität der Verantwortlichen stattfindet? Und wenn ja, welchen Zeitraum würden Sie sich dafür wünschen, oder welchen Zeitraum halten Sie für realistisch?
Franz Keller: Eines ist sicher: Es muss von unten kommen, vom Verbraucher. Es geht nur über Aufklärung, man muss den Leuten immer und immer wieder sagen: Wenn ihr diesen Mist kauft, werdet ihr krank! Das ist völlig am falschen Ende gespart, denn da hängt immer ein Riesen Apparat mit dran. Und sie alle verdienen Geld damit. Wenn Sie heute Milch kaufen, dann wird der schon mal das Fett entzogen und aus dem Fett macht man unter anderem auch Medikamente und die verkauft man den Leuten wieder als Zusatz, als Nahrungsergänzungsmittel. Aber wenn sie die Milch trinken, wie sie von der Kuh kommt, dann hätten sie diese Nahrungsergänzungsmittel gar nicht nötig, denn in der Milch ist ja alles drin. Aber ich muss auch sagen, normale Milch gibt es kaum noch. Denn selbst Bio-Betriebe sind quasi gezwungen Hochleistungskühe zu halten, die bis zu 40 Liter am Tag geben. Einfach deshalb, weil diese Betriebe mit einer herkömmlichen Haltungsform kaum noch Gewinne erlösen mit ihrer Milch. Deshalb boomt ja auch der Markt so stark mit diesen Ersatz-Milch-Produkten, wie Hafermilch und was weiß ich nicht alles… Und das wird dann unter dem Label des Quasi-Gesunden verkauft. Man muss die Leute aufklären, übers Kochen, übers Selber Kochen, wenig kaufen und nur die Produkte essen, bei denen die Zutaten-Listen nicht lang sind. Das ist ein langwieriger Prozess, ein Kampf, der von unten beginnen muss! Am besten bei den Kindern, wenn es die Alten nicht begreifen.
bonvinitas: Was halten Sie von der Fridyas for future Bewegung?
Franz Keller Ich halte das für sehr gut, dass die Jungen auf die Barrikaden gehen. Da kann man natürlich drüber streiten wie sie das machen. Meine Tochter ist da ebenfalls sehr engagiert. Und wenn die Politik nicht in Bewegung kommt, dann muss das eben vom Volk kommen, und wenn es junge Leute sind, dann um so besser. Es geht ja um deren Zukunft!
bonvinitas: Hätten Sie einen Favoriten, eine Favoritin für den Posten des Landwirtschafsministers oder einer Landwirtschafsministerin? Was müsste er oder sie durchsetzen und in welchem Zeitraum?
Franz Keller: Allein um durch all diese Partei-Apparate durch zu kommen, da muss man schon mindestens fünfmal chemisch gereinigt sein. Und dann kommt immer noch Europa. Dann erkennt man nicht einmal mehr die Basis. In Europa haben wir mittlerweile eine Situation, in der aber auch alles zusammenkommt: Umwelt, die ganzen Spritzmittel, Intensiv-Landwirtschaft, das Bienen-Sterben… alles kommt zusammen. Und das, was produziert wird, wird auch noch unökologisch bis zum Geht-nicht-mehr produziert. Denken sie an die Futtermittel, die aus Südamerika importiert werden. Oder die Gülle, die hier ausgebracht wird. Ich habe ja in meinem Buch geschrieben, wir müssen nicht Weltmeister im Produzieren werden, sondern wir müssen Weltmeister im Qualität produzieren werden. Unser Land ist so stark, so reich, vielleicht momentan nicht mehr ganz so reich, aber dennoch so wohlhabend, dass man sich das leisten könnte. Wir haben ja ein Land, das da sehr beispielhaft voran geht - nur die sind zu klein und produzieren relativ wenig und exportieren wenig - und das ist Österreich. Von Österreich können wir sehr viel lernen, denn die sind sehr viel weiter, wenn es um Qualität in der Landwirtschaft geht.
bonvinitas: Welche fünf oder auch mehr Persönlichkeiten ein, denen Sie Lob und Tadel für den Umgang mit den Schätzen unserer Scholle überbringen wollen. Was sagen Sie zu wem?
Franz Keller: Erstmal Lob. Es gibt in Baden-Württemberg einen Abgeordneten von der CDU, der überholt in vielen Dingen, die er anstößt sogar die Grünen, der heißt Dr. Patrick Rapp, mit dem arbeite ich sehr viel zusammen, wenn es um Schulungen, wenn es um Lebensmittel, oder um Landwirtschaft geht. Leider habe ich in Hessen noch keinen erreichen können, der sich für meine Anliegen interessiert oder sich mit mir anlegen möchte! Tadel, Tadel, da müssen wir doch noch mal von unserer Landwirtschaftsministerin reden. Die hat nun mal leider keine Ahnung, und es wäre besser gewesen, sie wäre Wein-Königin geblieben. Aber so ist es nun manchmal in der Politik, da werden Leute auf irgendeinen Posten gesetzt, von dem sie gar keine Ahnung haben. Und bis sie vielleicht Ahnung haben und Kompetenz, dann sind sie schon wieder in einem anderen Ressort oder ganz weg. Der Josef Ertl, das war ein guter Landwirtschaftsminister, er war ein Bauer und kein Industrie-Landwirt. Aber die vielen kleinen Betriebe im Osten und auch in anderen Regionen Deutschlands, die können nur existieren, weil sie eben nur das produzieren, was subventioniert wird. Und das ist die eigentliche Katastrophe. Weil wir in Deutschland das Falsche subventionieren. Und es wird höchste Zeit, dass es endlich alle verstehen, dass es so nicht weiter gehen kann.
bonvinitas: Herr Keller, vielen Dank für das engagierte Interview!
Fotos: Celine Keller