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AB IN DIE KÜCHE – Weckruf des berühmten Kochs Franz Keller

Wie wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen - Westend Verlag

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Von Alexander Wischnewski - Besprechung  2397  
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AB IN DIE KÜCHE – ein Weckruf von Franz Keller: Wie wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen - 240 Seiten, Westend Verlag 2020AB IN DIE KÜCHE – ein Weckruf von Franz Keller: Wie wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen - 240 Seiten, Westend Verlag 2020
240 Seiten, erschienen im Westend Verlag, Frankfurt am Main 2020

Stern mit Warndreieck oder der laute Weckruf eines Spitzenkochs

Allein schon die Farbe des Bucheinbandes ist ein Signal: Ein sanftes, feines Grün, wie junge Erbsen. Der Titel erscheint wie die mit Kreide handgeschriebene Speisekarte eines Gasthauses. Hausschlachtung und Weine aus eigenem Anbau oder zumindest von Winzern, die man gut kennt, denen man vertraut, und deren Schoppen oder Flasche man eben einfach schätzt, und mit denen man seit Jahren, vielleicht sogar seit Generationen zusammenarbeitet. Weil man die Qualität deren Produkte ebenso schätzt, wie die eigenen. Vertrauen ist das Zauberwort. Und so zieht der Autor gegen Verlogenheit und Lobbyisten zu Felde. Keller brandmarkt die seit Jahrzehnten aus dem Ruder gelaufenen Agrar-Subventionen in Deutschland, der EU und letztendlich sogar den Irrsinn der Ernährungswirtschaft weltweit. 

Ein Souverän am Herd und im Stall

Keller belässt es nicht bei Schelte oder einem generell Miesmachen unserer Essgewohnheiten. Er regt zum Nachdenken an, betreibt keine Generalschelte, er surft nicht auf der zeitgeistgemäßen Ökowelle, sondern belegt und zitiert mit geradezu akademischer Präzision. Aber, und das ist das Erfreuliche in und zwischen den Zeilen: Immer durch die Brille des Genussmenschen, der sich seiner Verantwortung bewußt ist und diese Erfahrungen, die er eben auch mannigfaltig empirisch belegt. Er bleibt auch bei scheinbar einfachen Gerichten dem unverfälschten Genuss, ein überzeugter Wegbereiter.

Olympus und Kellers Lieblingstiere

Keller versteht es, wie ein Märchenerzähler seinen Respekt vor den Nutztieren darzustellen. So erzählt er von seinem Lieblingsbullen, den er dann doch am Ende von dessen Tagen zum Schlachthaus bringen musste. Olympus, so der Name des 800-Kilo-Giganten, war längst zu Kellers Freund geworden. Man tauschte sich aus auf vielerlei Wellen. Doch als Olympus‘ Tage gezählt waren, tat Keller alles, um seinem Freund den Weg in eine andere Welt zu verschönern. Er fuhr am Tag vorher ins Schlachthaus und achtete auf Sauberkeit, um so den Geruch des Blutes aus Olympus‘ Nüstern fern zu halten. Keller sorgte für zwei junge Färsen als Gespielinnen, die Olympus in dessen letzten Stunden den Abschied aus dem irdischen Leben so leicht wie irgend möglich gestalten sollten. Auch das Bolzenschuss-Gerät setzte Keller selbst an die Stirn des Freundes. Keller wusste, dass ihm der Abschied von seinem Freund und Weggefährten sehr schwerfallen würde. Nach dem Schuss weinte er bitterlich und leerte einen Flachmann mit Cognac, den er vorsorglich mitgenommen hatte. In diesem Kapitel wird mit zartfühlender Eindringlichkeit beschrieben, wie der Mensch mit Nutztieren umzugehen hat. Auf Augenhöhe, die den Respekt vor jeder Kreatur, vor der Schöpfung, vor der Natur generell einfordert. Als Conditio sine qua non. 

Information statt Indoktrination - die Natur ist und bleibt der beste Koch

Keller indoktriniert nicht, sondern belegt seine Kritik mit Fakten und Zahlen. Er nimmt sowohl Politik, als auch die Lebensmittelindustrie und deren Lobbyisten ins Visier. Respektvoll, aber gnadenlos! Er hält allen den Spiegel vor, vor allem jenen, die für Umweltaktivisten, wie Fridays for Future, oft nur ein gequältes Lächeln übrighaben, während in Brasilien der Regenwald gnadenlos abgeholzt wird, um die Nahrungsmittelindustrie dieser Welt, mit fragwürdigen Rohstoffen zu überhäufen. Und dann beschreibt der ehemalige Sternekoch, dass man auch aus Resten, aus dem Übriggebliebenen, schmackhafte Gerichte herstellen kann. Das gebietet ihm der Respekt vor der Natur und deren großzügiger Vielfalt. Franz Keller übt auch scharfe Kritik an Deutschland. Denn die Politik setzt lediglich nur auf Freiwilligkeit bis hin zu den Ministerien. Lebensmittelampeln wären sicher ein erster kleiner Schritt. Und auch in Deutschland nimmt die Fettleibigkeit rasant zu. In den USA wurde sie schon zur Volkskrankheit; genannt Diabetes. Adipositas ist der todsichere Vorläufer vieler Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese, bedingt und begünstigt durch versteckte, unnatürliche Fette, wie Margarine, mit deren Erfindung man in den 1930-er Jahren die Bevölkerung auf die Zeit ohne Butter vorbereiten wollte. Die Margarinehersteller wurden damals schon - oder noch - in Bonn die emsigsten Lobbyisten, bis sie von denen der Pharmaindustrie abgelöst wurden. Ein Phänomen biblischen Ausmaßes: Der Tanz ums Goldene Kalb. Franz Keller wird, kann und muss das mit Empathie und Zorn nachvollziehen.

Indianer rauchen Friedenspfeifen – Politiker sollten miteinander essen

Denn, so Keller, auch das hatte er erlebt, als einmal Kanzlerin Angela Merkel und der Kremlchef Wladimir Putin in seinem Sterne-Lokal zum Essen verabredet waren. Angela Merkels Laune war nicht die beste. Putin galt nicht gerade als der Pünktlichste. Sie wartete und wartete auf den ehemaligen Geheimdienst-Offizier, der vor der Wende seinen Dienstsitz in Leipzig hatte. Schließlich kam Putin mit etwa drei Stunden Verspätung im Rheingau an. Das Vier-Augen-Gespräch begann in beiden Sprachen, denn Putin hatte in Leipzig sehr ordentliche Deutschkenntnisse erworben, und Angela Merkel wiederum die erste Fremdsprache des einstigen Brudervolkes, Russisch, gelernt. Und auch in diesem Fall, ganz präzise als Doktorin der Physik, sogar ziemlich perfekt. Man tauschte Gedanken aus. Die Stimmung zwischen den beiden war eher mit dem Begriff krampfhaft zu umschreiben. Es ging um das Dessert. Frau Merkel bestellte eines. Putin nicht. Die Stimmung wurde gelöster und Merkel ermunterte Putin, doch von dem köstlichen Dessert zu probieren. Er lehnte weiterhin ab, doch schließlich, probierte doch er von Merkels Dessert… Die Stimmung war auf einmal ganz friedlich. Der gemeinsame Genuss hatte die Stimmung deutlich aufgehellt, ja, für Momente herrschte Frieden am Tisch. Es mutet wie eine Anekdote an, aber Kellers Fazit ist und bleibt ein stiller, aber eindringlicher Appell: Nutzt Messer und Gabel als Besteck zum Essen, so wie die Ureinwohner Amerikas, die Indianer, die eine Friedenspfeife schmauchten.

Epilog - ein eidgenössischer Vordenker

Eine Begegnung vor vielen Jahren in Chicago, die mich heute besonders an Franz Keller denken lässt: Im The Drake, einem Grand Hotel mit jahrzehntelanger Tradition und für US-amerikanische Verhältnisse eine Edelherberge mit edler Eleganz, war damals ein Schweizer Koch der Chef. Leo Waldmeier aus dem Aargau. Und er sagte: "Ja, weißt Du, Haute Cuisine ist etwas, das ist schön und gut, auch die muss man beherrschen. Aber der eigentliche Gradmesser für die Kochkunst ist eine Kartoffelsuppe… die musst Du erst mal hinbekommen", so Waldmeier damals. Im Laufe des weiteren Gesprächs legte er damals, so wie Franz Keller heute, Standards fest, die sich ausschließlich an der Natur orientieren: "Ich habe früh gespürt, wie Karotten, wie Kohl und Kartoffeln wachsen, wie sie wann riechen. Oder wie das Fleisch von Schweinen und Rindern schmeckt, wenn man die Tiere so oder so füttert." Das Aroma der Gartenkräuter hat er als Bub eingeatmet. Nur Salz und Pfeffer wurden im Laden geholt. Kaum einer meiner Sous-Chefs oder Köche, so Waldmeier,  wusste damals, wie man Speck räuchert. Jeder Koch sollte seine Ausbildung auf einem Bauernhof beginnen, so Waldmeier weiter. Und dabei erfahren und verinnerlichen, was man alles selbst produzieren kann: Vom Sauerkraut bis zur Marmelade! haben wir alles selbst gemacht. 

Alexander Wischnewski

Interview mit Franz Keller

AB IN DIE KÜCHE
Von Franz Keller
Wie wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen
Illustrationen: Christina Kuschkowitz
Fotos: Paul-Felix Heinisch
240 Seiten; Hardcover
Davon 6 Seiten Literatur- und Quellenangaben
Westend Verlag, Frankfurt am Main 2020
ISBN 978-3-86489-266-0
24,00 EUR D; 24,70 EUR in A
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Franz Keller

Franz Keller gehörte zu den renommiertesten Sterneköchen in Deutschland. Er lernte sein Handwerk bei Legenden wie Jean Ducloux, Paul Bocuse oder Michel Guérard und konzipierte als einer der Ersten die „Neue Deutsche Küche“. Dann verabschiedete er sich aus dem „Sterne-Zirkus“ und verfolgt seitdem in seiner berühmten „Adler Wirtschaft“ in Hattenheim/Rheingau seine eigene Philosophie „Vom Einfachen das Beste“. Auf seinem „Falkenhof“ im Wispertal lebt er heute seinen Traum vom Kochen als Genusshandwerk. Anmerkung der Redaktion, Quelle: Verlag
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