„Glauben Sie noch, oder wissen Sie schon?“
Dieser Satz auf der Rückseite des Covers unterstreicht, worum es in diesem unterhaltsamen Büchlein „Populäre Weinirrtümer“ von Marcus Reckewitz geht: Um Aufklärung. Speziell in puncto Weinwissen geistern viele Gerüchte, Halbwahrheiten, Beharren auf Althergebrachtem und teilweise kuriose Deutungen durch die Gemeinde der Weinliebhaber. Dabei geht es nicht nur um die banale These „roter Wein zu dunklem Fleisch“ oder „Rotwein trinkt man bei Zimmertemperatur“ sondern um viele andere vermeintliche Wahrheiten. Auf knapp 200 Seiten räumt der Autor auf überaus unterhaltsame, teils humorvolle Art mit manchen dieser Irrtümer auf. Dies tut er nicht oberlehrerhaft mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit einer ihm eigenen Ironie und einem ganz leisen fast schon liebenswerten Sarkasmus. Es liest sich leicht und flüssig, begleitet von einem stets kleinen süffisanten Lächeln, dass nur manchmal durch ein: "Hoppla, das hab ich jetzt noch nicht gewusst", unterbrochen wird.
Was sind Kirchenfenster beim Wein?
Reckewitz hat gut recherchiert und seine Thesen stützen sich auf wissenschaftliche Untersuchungen und ausgewiesene Studien. Von A wie Aperitif, bis Z wie Zucker, durchforstet er die Weinlandschaft in vielen Kapiteln. Dabei erfährt das gemeine Weinvolk, dass der Kir Royal nicht in München erfunden wurde, sondern von einem Domherrn namens Felix Adrien-Kir. Die landläufige Erklärung „Kirchenfenster seien Zeugnisse von qualitativ hochwertigen Weinen mit hohem Glyzeringehalt“ entlarvt er als „liturgisches Weingesäusel“. Wissenschaftlich erwiesen sei, dass es sich dabei um die verschiedenen Verdunstungsgeschwindigkeiten von Alkohol und Wasser handele. Wer glaubte bisher nicht, dass, wenn er Wein zum Kochen verwendet, der Alkohol beim Kochvorgang verdunstet? Wissenschaftlich bewiesen ist, dass bei einem Menü, bei dem bei jedem Gang Wein oder Sekt zum Kochen verwendet wird ohne weiteres die gesetzlich zulässige Promillegrenze überschritten werden kann.
Weingenuss in 10.000 Meter Höhe
Auch, dass Weine in einer Höhe von 10.000 Metern an Bord eines Flugzeugs anders schmecken als am Boden und daraufhin Weine ausgesucht werden, die dieser Tatsache Rechnung tragen, dürfte nicht jedem bekannt sein. Aber Reckewitz räumt nicht nur mit ein paar Pseudowahrheiten auf, sondern er übt dabei auch Kritik. Dies tut er sowohl bei den Billigangeboten der Discounter, als auch an der Weinbewertung und Punktevergabe von Weinguru Parker (dunkle, schwere, Alkoholbomben). Auch den Einsatz von Holzchips, oder die Technik der Umkehrosmose beleuchtet er sehr kritisch. Auf unterhaltsame Art Wissen vermitteln, trifft es wohl am besten, wenn man dieses Buch beschreiben will. Da fällt auch dann nicht ins Gewicht, wenn an manchen Stellen eine leichte Kritik angebracht wird.
Viel Licht und kaum Schatten
So ist mir aufgefallen, dass sich Reckewitz immer wieder wenn es darum geht, Infos über Weine zubekommen nur auf die Sparte der Weinhändler bezieht und nicht erwähnt, dass man auch beim Winzer oder bei einer Winzergenossenschaft vor Ort gut beraten werden kann. Des Weiteren zeugen viele Äußerungen von einer doch latent vorhandenen frankophilen Ausrichtung. Etwas Schwierigkeiten hatte ich auch mit dem Kapitel „Traubenfarbe“. Hier wirft er einiges durcheinander indem er schreibt „Wie man es mit den roten Traubensorten Gewürztraminer und Grauburgunder auch tut.“ Beide Rebsorten sind Weißweinsorten, deren Beerenfarbe nicht weiß sondern rötlich, bzw. graufarben ist.
Ein kleiner Fehler ist ihm auch beim Thema Terroir auf Seite 169 unterlaufen. Dort schreibt er auf das Weinetikett bezogen „Dass der Wein von der Mittelmosel kommt, steht ja drauf.“ Wenn auf dem Etikett eine geographische Bezeichnung steht, dann die des Anbaugebietes, welches früher „Mosel-Saar-Ruwer“ und heute nur noch „Mosel“ lautet. Untergebiete wie Obermosel, Mittelmosel oder Terrassenmosel sind nicht erlaubt. Als in Baden ansässiger Moselaner möchte ich abschließend noch schmunzelnd kritisieren, dass Reckewitz die Worte Worscht, Moscht und Veschper mit einem Moseltröpfchen in Verbindung bringt. Dies ist zum Ersten kein Moselfränkisch und zweitens würden sich die Pfälzer, deren Sprachschatz die Begriffe eher zugeordnet werden dürften, sicherlich beim Vespern sich ihrer eigenen Weine bedienen. Dies nur am Rande.
Mir hat dieses kleine „Aufklärungsbüchlein“ ausnehmend gut gefallen. Es hat mich zum Schmunzeln und zum Lachen gebracht und in etlichen Fällen sogar gescheiter gemacht. Nicht nur für Weineinsteiger sondern auch für Weinliebhaber und die, die denken alles über Wein zu wissen eine überraschende Fundgrube.
Horst Kröber
Marcus Reckewitz
„Populäre Weinirrtümer“
Anaconda Verlag
ISBN 9783866478206
7,95 Euro