Rheinhessen: Das Land im Rheinknie zwischen Bingen, Mainz und WormsIch selbst habe drei Jahre in Rheinhessen gelebt und fühlte mich sofort aufgenommen. Denn ein Neuankömmling heißt dort ein „Ringeritscher“, der gleich dazu gehört. So ist Offenheit mehr als ein Schlagwort, und wie könnte sich die Lebensfreude besser zeigen als in der bekannten Mainzer Fastnacht. Dass dies auch am guten Wein liegt, ist mehr als naheliegend.
Großartige Rieslinge und mehr
Rheinhessen bildet die offene, lichtdurchflutete Landschaft mit sanften Hügeln, auf denen viele Reben wachsen, im Rheinknie zwischen Bingen, Mainz und Worms. Viele Winzer und Weingüter sind dort am Werk, die es verstehen, beste Weine aus diesen Terroirs zu erzeugen, die vorwiegend aus Löss bestehen, teils vermischt mit Flugsand. Rund 30 % sind tonige Mergelböden, stellenweise auch mit Kalksteinanteilen. Auf jeden Fall können die Reben tief wurzeln und den Weinen eine charakteristische Prägung mit auf den Weg geben.
Dies bildet die Grundlage großartiger Rieslinge, die Sorte, die in Rheinhessen mit 18% im Vordergrund steht. International bekannt sind die Rieslinge von der Rheinterrasse, jene nach Osten geneigten Hänge, über die das rheinhessische Hügelland zur Rheinebene hin abfällt, teils direkt zum Rhein, wie in Nierstein, wo die Reben die erste Morgensonne tanken. Doch auch im Hügelland gibt es viele erstklassige Lagen. Riesling ist ja die Rebe, die es nicht zu heiß liebt, auch nördlich des 50. Breitengrads gut gedeiht und betont elegante Weißweine hervorbringt, für die der deutsche Wein weltbekannt ist, und die lange nicht überall so wachsen. Überhaupt stehen Weißweine in Rheinhessen mit 71 % im Vordergrund. Die fruchtigen Müller-Thurgau machen 16 % aus, gefolgt von den eleganten Silvanern mit 8%, auf die man in Rheinhessen traditionell viel hält. „Die Zeit ist reif für den Silvaner“ heißt das Stichwort, wozu unten noch mehr zu sagen ist.
Der Rote Hang bei NiersteinBlick auf Mainz mit Dom
Warum die Rheinhessen so sind, wie sie sind - ein Blick in die Geschichte
Ehe wir zu den Roten kommen ein Blick in die Geschichte, der verstehen lässt, warum die Rheinhessen so offen und lebensfroh sind. Vorneweg, der Name täuscht ein wenig, denn Rheinhessen gehört heute zu Rheinland-Pfalz. Doch schon die Römer waren hier und haben viele Spuren hinterlassen, insbesondere Mainz als Kastell. Ebenso wurden mehrfach Reste von Römerhöfen gefunden. Dass die Römer hier Weinbau betrieben, liegt auf der Hand, haben sie diesen doch ins heutige Deutschland gebracht. Ebenso wichtig ist die Epoche der Völkerwanderung. Zahlreiche Völker kamen über den Rhein und haben sich hier „verewigt“, ehe sie weiter gen Süden zogen. Der bekannte Schriftsteller Carl Zuckmayer aus dem rheinhessischen Nackenheim, der es wagte, mit seinem Roman „Des Teufels General“ die Nazis zu kritisieren, nannte das Völkergemisch „die Kelter Europas“. Nach etlichen Jahrhunderten als Bistümer Mainz und Worms und vieler kleiner Feudalherrschaften wurde die Region 1792 französisch im Zuge der Revolutionskriege. Im März 1793 entstand mit der Mainzer Republik das erste demokratische Staatswesen auf deutschen Boden, das allerdings nur vier Monate währte, weil das Gebiet dann regulär an Frankreich kam. Nach einer Unterbrechung währte die französische Zeit immerhin über 20 Jahre, bis die Region 1816 im Zuge des Wiener Kongresses dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugeschlagen wurde. Damit kam zwar der Name, doch man hat auf manche Errungenschaften der französischen Zeit bestanden, wie Umverteilung kirchlichen und feudalen Eigentums, Gewerbefreiheit, Bürgerrechte, Geschworenengerichte und mehr. So erklärt sich die rheinhessische Mentalität. Als herausragendes Ereignis des Milleniums erfand Johannes Gutenberg um 1400 in Mainz den Buchdruck.
Die roten Farbtupfer
Im Vordergrund steht Dornfelder mit 13 % gefolgt von Spätburgunder mit 6 %, aus dem auch in Rheinhessen dunkle, tanninreiche, sehr gehaltvolle Rotweine erzeugt werden. Überhaupt ist Rheinhessen mit einer Ertragsrebfläche von knapp 27.000 Hektar das größte deutsche Weinbaugebiet und stellt über ein Viertel der deutschen Weinerzeugung.
Im Landgasthof Eulenmühle in IngelheimSt. Albansfest in Bodenheim
Ein Genießer-Land
Mit der geschilderten Mentalität versteht man in Rheinhessen natürlich das Genießen und erst recht mit den passenden Weinen, und so ist die Weinregion im Rheinknie ein attraktives Ziel und eine Reise wert. Zumal Rheinhessen mit rund 400 mm Niederschlag pro Jahr zu den wärmsten und trockensten Regionen Deutschlands zählt, und die sanften Hügel auch zum Pedelec-Reisen einladen. In puncto Genießen: schöne Vorspeisen bilden zum Beispiel Salate mit frischen Feigen oder Quark-Kartoffel-Würfel mit Löwenzahn. Ein großes Thema sind natürlich Spargel, wozu sich insbesondere der Silvaner empfiehlt. Weiter winken so schöne Gerichte wie rheinhessischer Riesling-Rahmbraten oder Lachsforelle im Kohlrabiblatt. Spezialitäten bilden Spundkäs (Frischkäse zum Dippen), Backes-Grumbeere (Kartoffeln mit Fleisch) oder Dibbehas (Wildhase oder Kaninchen im Topf mit Gewürzen und Wein). All dies lässt sich in gemütlichen Weinstuben genießen. Ebenso kann man sich auch in Gourmet-Restaurants verwöhnen lassen. Dass zu solchen Reisen natürlich der Besuch von Weingütern gehört mit attraktiven Verkostungen und persönlichem Kontakt zum Winzer, versteht sich von selbst, zumal viele Güter sehr schöne Vinotheken bieten – viele davon „Rheinhessen AUSGEZEICHNET“ – als auch Gästezimmer bis hin zu Weinhotels.
Vinothek im Weingut Espenhof in Flonheim-Uffhofen
Kulinarik: Vis à Vis in Osthofen
Viel Kultur
Über die guten Weine und gute Küche hinaus bietet Rheinhessen obendrein viel Kultur, insbesondere die Landeshauptstadt Mainz mit dem Staatstheater oder dem „unterhaus – mainzer forumtheater“. Weitere attraktive Beispiele bilden die Nibelungenfestspiele Worms, die „Binger Bühne“ mit vielen Veranstaltungen, das Restaurant „GUT LEBEN am Morstein“ in Westhofen ebenfalls mit Veranstaltungen, das „KulturGUT Bechtolsheim“ oder die „Kleine Kunstbühne“ in Saulheim. Die Dome in Mainz und Worms gehören zur bedeutendsten deutschen Romanik, und die Oppenheimer Katharinenkirche gilt als wichtigste Gotik am Rhein zwischen Straßburg und Köln. Obendrein winken viele kleinere heimelige Heimatmuseen wie z.B. das Postmuseum in Erbes-Büdesheim. Wer mehr über Hildegard von Bingen wissen möchte, kann sich im historischen Museum der Stadt Bingen informieren, weiter im dortigen Stefan-George-Museum über diesen Schriftsteller als auch über die ehemalige Kaiserpfalz in Ingelheim.
Interessante aktuelle Highlights bilden: „BINGEN SWINGT - Internationales Jazzfestival“ vom 28. bis 30. Juni 2019; „Musik im Park“ in Osthofen am 28.7.2019; „Da Capo“ in Alzey mit dem Open Air Festival vom 1. bis 4. August 2019; "Worms: Jazz & Joy" vom 9. bis 11. August 2019; „Summer in the City 2019“ in Mainz, ein bunt gemischtes Programm aus internationalen Topstars und nationalen Newcomern, oder „Rock The Circus – Musik für die Augen“ am 4.2.2020 in Ingelheim.
Selection Rheinhessen
MAXIME HERKUNFT RHEINHESSEN und mehr
Weil die rheinhessischen Winzer ehrgeizig sind und nur beste Weine erzeugen möchten, wurde 2017 die Vereinigung MAXIME HERKUNFT RHEINHESSEN gegründet, deren Mitglieder ihre Weine nach Guts-, Orts- und Lagenweinen klassifizieren und sich strengen Richtlinien unterwerfen, was bei der Fachwelt wie Weinfreunden viel Anerkennung gefunden hat. Als Vorsitzender des Vereins fungiert Johannes Geil-Bierschenk vom Weingut Oekonomierat Johann Geil I. Erben in Bechtheim. Ein weiteres Gemeinschaftsprogram bildet der „RS Rheinhessen Silvaner“. Erstklassig sind auch die Weine der „Selection Rheinhessen“, Weine aus besten Lagen, die nach strengen Kriterien erzeugt und alljährlich im überdachten Hof der Mainzer Handwerkskammer präsentiert werden. Nicht zu vergessen sind die ausgezeichneten Winzersekte, die viele Weinerzeuger bieten. Überhaupt wurde jüngst ganz Rheinhessen, entsprechend dem romanisch geprägten EU-Weinrecht als geschützte Ursprungsbezeichnung anerkannt, womit Qualitätskriterien festgelegt sind, welche die Vertreter der Weinerzeuger und Vermarkter der Region den Jahrgangsbesonderheiten anpassen können, ein nach französischem Vorbild insgesamt flexibleres Qualitätssystem.
Rheinhessen denkt an morgen
Längst werden Ökologie und Nachhaltigkeit groß geschrieben. Die Weine von knapp 10 % der Rebfläche sind bereits als ökologisch erzeugte Weine anerkannt. Biodiversität, Erhaltung des fruchtbaren Bodens und sauberes Grundwasser bilden wichtige Themen. Mehr und mehr werden die Raine bepflanzt und Ausgleichsblühflächen für Insekten geschaffen. ECOVIN wurde in Rheinhessen gegründet und zählt hier mehr als 37 Mitgliedsbetriebe.
Feste und Wein-Präsentationen
Ein besonderer Anziehungspunkt sind die zahlreichen Weinfeste, die viele Weinorte bieten. Zu den Highlights zählt der Mainzer Weinmarkt vom 29. August bis 1. September und vom 5. bis 8. September 2019. Große Verkostungsauswahlen bieten die Präsentationen, wie das Weinforum Rheinhessen mit Schau der prämierten Spitzenweine, das in der Regel im Oktober in Mainz stattfindet, sowie die VDP.Weinbörse, auf der alljährlich VDP.Weingüter aus ganz Deutschland ihre Weine präsentieren, wenn dies auch nur der Fachwelt offen steht. Überhaupt ist Mainz als „deutsche Weinhauptstadt“ seit über 10 Jahren Mitglied im weltweiten Netzwerk der „Great Wine Capitals“, zu dem so berühmte Weinmetropolen wie Bordeaux oder San Francisco gehören.
Vieles mehr über Rheinhessen, wie Winzeradressen, Vinotheken, Unterkünfte, die Weine, die Feste, die Kultur, bis hin zu Rezepten findet sich auf:
www.rheinhessenwein.de.
Text: Dieter Simon, Chefredakteur und Herausgeber bonvinitas.
Fotos bzw. Copyrighst: Aufmacherfoto Landschaft: Rheinhessen-Touristik GmbH, Achim Meurer; Karte; Rheinhessenwein e.V., Colbatzky & Partner; Foto Rheinfront: Rheinhessen-Touristik GmbH, Karl-Georg Müller; Foto Mainz: Adobestock - Juergen Schonnop; Foto Eulenmühle: Domiik Ketz; Foto St. Albansfest: Rheinhessenwein e.V., Martin Kämper; Foto Vinothek: Rheinhessen-Touristik GmbH, Ullrich Knapp; Foto Vis à Vis: Sven Hasselbach; Foto Rheinhessen Selection: Rheinhessenwein e.V., Sven Hasselbach