Reinhard Löwenstein ist einer der Charakterköpfe von der Mosel. Bekannt ist der Leiter des Weinguts Heymann-Löwenstein, Winningen, als leidenschaftlicher Kämpfer für die Steilhang-Lagen an der Terrassenmosel. Als viele seiner Kollegen die schwer zu bewirtschaftenden Weinberge aufgaben, weil sie sich nicht mehr lohnten, investierte er.
Ausgerechnet Terrassenlagen haben Sie sich als Steckenpferd ausgesucht. Mühsamer geht Geld verdienen ja wohl kaum.
Alle guten Dinge auf der Welt kosten viel Arbeit. Ich bin ein Fan von viel Arbeit. Und ich bin gegen Rationalisierung, wenn die Qualität darunter leidet. Aber genau das wurde und wird auch an der Mosel permanent gemacht.
Wir sind ein Kind der Krise. In den 1980er Jahren haben wir angefangen, Terrassenlagen zu pachten und zu kaufen, als sie so billig waren wie noch nie. Subventionen haben wir damals keine bekommen - Quereinsteiger waren im System nicht vorgesehen.
Trotzdem haben Sie es irgendwie geschafft, ein Weingut aufzubauen.
Ja. Nach einem jahrelangen Kampf gegen den Bankrott, haben wir mittlerweile ein schönes Weingut aufgebaut. Das ist grandios. Jetzt geht es darum, weiter am Feintuning der Weinqualität zu arbeiten.
Die Böden haben Ihrer Ansicht nach einen besonders wichtigen Anteil beim Weinanbau.
Beim Trinken unserer Weine kann man Dinge schmecken, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Man schmeckt den Weinberg.
Und das gilt besonders für Weine der Terrassenmosel?
Es gibt wenige Regionen, die in einem so kleinen Umkreis so viele verschiedene Schieferböden haben wie die Gegend um Winningen. Die Böden an der Terrassenmosel haben einen geringeren Tongehalt als die an der Mittelmosel. Die Böden sind besser durchlüftet und daher im Frühjahr schneller lebendig. Und die Trauben haben daher meist etwas weniger Säure und mehr Fruchtzucker.
Geologisch sind wir eher verwandt mit dem Mittelrhein und dem Rheingau. Wir sind sehr froh darüber, dass wir neben Mittelmosel, Saar und Ruwer ein eigenes Geschmacksprofil etabliert haben.
Die Herausforderung in der Bezeichnung eines Terroirweines besteht darin, zu entscheiden: Wann schmeckt der Wein so anders, dass man von einem anderen Wein reden sollte? Etwa die Lage Uhlen: da gibt es rote, hämatithaltige Schiefer, graue, mit Fossilien durchsetzte und damit kalkhaltige Schiefer und ins blaue gehende, tonhaltige Schiefer. Daher haben wir uns entschieden, aus dieser Lage drei Weine zu vinifizieren. Und auf der anderen Seite haben wir überall dort die Lagenamen abgeschafft, wo sich der Boden nicht zu einem singulärem Geschmackserlebnis im Glas verdichtet.
Aber das Können des Winzers spielt aber doch wohl auch eine Rolle?
Wie man einen Wein macht, der schmeckt, kann jeder lernen. Der Fachmann kann es natürlich etwas besser. Uns geht es aber nicht um den möglichst optimalen Geschmack, sondern um Kultur, um das Schmecken der Einzigartigkeit der Sedimente des tropischen Urmeers. Es geht um Weine mit Charakter, Weine die leben, die komplex sind. Ein in diesem Sinne guter Wein ist wie ein Rorschachtest – er kann immer wieder einen anderen Seelenzustand widerspiegeln.
Das klingt, als sei es sehr kompliziert, sich mit Wein zu beschäftigen. Verlangen Sie den Weintrinkern da nicht einiges ab?
Jeder kann selbst entscheiden, welche Art von Wein er trinkt. Man muss auch Wein trinken können, ohne dabei denken zu müssen. Ich habe nichts dagegen, wenn jemandem der industriell hergestellte Wein reicht. Mich nervt nur, wenn diese 3-Euro-Weine mit Prädikaten und schönen Etiketten vorgaukeln, sie seien ein Gottesgeschenk.
Und natürlich gibt es auch Weine, bei denen es sich lohnt, sich auch intellektuell damit zu beschäftigen. Aber das wichtigste ist die Hingabe zum Genuss - und das fällt leider vielen Weintrinkern schwer. Da gibt es zu viele Kontrollfreaks, die sich lieber an Analysedaten aufgeilen als zu versuchen, sich dem Wein gegenüber emotional zu öffnen.
Und wie sehen Sie dann den Trend zum Biowein – der ja auch in großen Mengen im Supermarkt zu haben ist?
Bio hat die Position als Avantgarde verloren. Das war so in der 70er und 80er Jahren. Die Biobewegung ist, wie man so schön sagt, in der Mitte der Gesellschaft angekommen - d.h. niedrigpreisig im Supermarktregal. Das Problem mit der Kennzeichnung „Bio“ ist , dass sie missverständlich ist, weil viele Konsumenten darunter etwas verstehen, was sie gar nicht meint, z.B. dass Bio-Anbau ohne Spritzmittel auskäme oder grundsätzlich einen Gegensatz zu „industriell gefertigt“ darstellen würde. Gerade im Keller sind leider fast alle modernen Zaubermittel erlaubt.
Darüber hinaus schwingt in der Bio-Bewegung immer noch der religiöse Glaubenssatz: Der Mensch ist schlecht und die Natur gut. Derartiges Schwarz-Weiss-Denken ist nicht hilfreich. Wir sollten lieber genauer hinschauen, z.B. was die Toxizität angeht. Nicht nur was aus der Fabrik kommt, sondern auch was draußen wächst, kann ja ganz schön giftig sein. Und dann stellt sich die Frage: Toxisch für wen? Für den Winzer, für den Regenwurm oder für den Verbraucher? Für tausende von Mikroorganismen ist ein Spaten tödlich, da sauerstoffliebende in tiefere Erdschichten eingebracht werden und umgekehrt. Aber genau das wird von vielen zur Herstellung von „produktivem Chaos“ im Boden gewünscht.
Es gibt keine heile Welt, sondern nur sinnvolle Kompromisse. Und neben der Gesundheit stehen heute immer mehr auch andere kulturelle und soziale Fragen im Fokus, z.B. die Abgrenzung zu industrieller Weinproduktion und Geschmacksmanipulation, faire Arbeitsbedingungen, Erhalt der Kulturlandschaft. Wir haben daher die Nachhaltigkeitsinitiative „Fair and Green“ gegründet, die diesen Aspekten Rechnung trägt.
Was heißt das für den Wein als Naturprodukt?
Wein ist kein Naturprodukt. Ein Weinberg ist keine Naturlandschaft, er ist eine Kulturlandschaft. Nicht der liebe Gott hat ihn geschaffen, sondern der Urgroßvater. Und auch die Rebe selbst hat kein Interesse an gutem Wein, sondern daran, sich weiter zu vermehren. Schmackhafte Trauben produziert die Rebe nur, wenn sie vom Menschen richtig behandelt wird. Die Gretchenfrage lautet daher: Wo ist die Grenze zwischen liebevoll begleiten und vergewaltigen? Innerhalb dieser Polarität sehe ich unsere Arbeit als Winzer. Zwischen Ordnung und Chaos.
Und wie arbeiten Sie nun?
Im Weinberg immer mehr so, wie es mein Großvater gemacht hat: hohe Pflanzdichte, viele wurzelechte Reben, nur organischer Dünger, Vinifikation im Holzfass und ausschließlich mit wilden Hefen. Aber bei der Flaschenfüllung sind wir dann im 21. Jahrhundert: Da geht es um Hygiene und technische Perfektion.
Sie bauen auch konsequent – abgesehen von etwas Spätburgunder für Blanc de Noirs-Schaumweine – nur Riesling an. Die klassische Rebsorte von der Mosel, die zwei Drittel der Rebfläche besetzt.
Ja, der Riesling ist klassisch. Den lieben wir, da er den Schiefer zu toll ins Glas zaubern kann.
Aber Sie machen auch vieles andere anders als zu Großvaters Zeiten. Das fängt schon damit an, dass man die klassischen Weinbezeichnungen wie Kabinett oder Spätlese bei Ihren Weinen vergeblich sucht.
Zu behaupten, der klassische Moselwein sei der Kabinett, ist eine historische Lüge. Er kam erst nach 1971 in Mode. Und ja, die letzte restsüße Spätlese, die wir ausgebaut haben, war 1981. Das ist geschmacklich nicht unsere Baustelle.
Außerdem setzen sie auf Schraubverschlüsse statt Korken.
Ja. Wir sind froh, dass immer mehr Kunden von dem – zugegeben nicht so ästhetischen – Schrauber überzeugt sind. Wir haben nicht nur die Nase voll von Korkschmeckern, sondern vor allem von der Tatsache, dass bei mit noch so guten Kork verschlossenen Weinflaschen nach einigen Jahren Lagerung jede Flasche anders schmeckt. Und wir wollen ja schließlich kein Roulette spielen, sondern die Individualität der Weinberge kommunizieren.