Agroforst – im Weinbau Vitiforst genannt
Nachdem unsere Urahnen noch in Wäldern lebten, sind Bäume und Sträucher ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge chemischer Düngung, Mechanisierung der Landwirtschaft, Flurbereinigungen und nicht zuletzt Rodungsprämien von unseren Feldern so gut wie verschwunden. Monokulturen haben sich ausgebreitet. Doch allmählich werden die Vorteile der Symbiose von Feldfrüchten mit Bäumen und Sträuchern – genannt Agroforst, im Weinbau Vitiforst - wieder erkannt.
Weinreben und Bäume sind gute Partner
Die Mykorrhiza-Netzwerke
Nicolas Haack vom Triebwerk: frische Weine trotz Klimaerwärmung
Haack, der zu den Gründern der Unternehmergemeinschaft ‚Triebwerk - Regenerative Land- und Agroforstwirtschaft‘ gehört, und zum Thema Vitiforst schon seit einigen Jahren Betriebe berät: „Auch wenn wir mit Vitiforst etwas mehr Schatten in die Reben bekommen, hat das im Zuge der Klimaerwärmung den für Weinfreunde durchaus positiven Effekt, dass wir die physiologische Reife der Trauben ohne das Zuviel an Öchslegraden und damit Alkohol erzielen, was zu frischeren Weinen führt. Und bei Dacherziehung lassen sich sogar Schafe und Ziegen unter den Reben halten, die zu einer natürlichen Düngung beitragen.“
Die Vitiforst-Anlage Arbustum in Ayl an der Saar - liefert schon Weine
Da die Anlage bereits 2007 angelegt wurde, liefert sie natürlich schon Weine, die reihum von verschiedenen Winzern aus Ayl ausgebaut werden und unter „Arbustum Ayl“ im Web zu googlen sind.
Die Anlage wurde als Verbundprojekt zwischen den Universitäten Hohenheim und Freiburg sowie der Gemeinde Ayl seitens der Universität Freiburg nach dem historischen Beispiel des Weinbaus der Römer als Vitiforst angelegt. Die Bewirtschaftung inklusive aller Pflegemaßnahmen des Weinberges wird von lokalen Winzern der Gemeinde Ayl übernommen. In verschiedenen Studien werden wissenschaftliche Daten erhoben, woraus neue Erkenntnisse in Bezug auf Wasser und Nährstoffhaushalt, Konkurrenzwirkung von Baum und Rebe, Weinqualität und Biodiversität innerhalb eines Agroforstsystems gewonnen werden sollen. Die Reben werden in der s.g. Kordonerziehung erzogen mit längeren Querästen.1) Als Bäume hatte man sich für die dort authochtone Traubeneiche entschieden sowie für Zitterpappeln, die im Falle des Eingehens durch Silberpappeln ersetzt werden. Inzwischen sind etliche Veröffentlichungen und Arbeiten, wie auch zum Bachelor und Master, darüber erschienen. Außerdem wird die Funktion der Mykorrhiza-Netzwerke weiter erforscht.
Dr. Johanna Döring, Hochschule Geisenheim University: Die Typizität der Weine erhalten – und doppelte Frucht
Winzer-Vorreiter
Haack hat u.a. das Weingut Hemer in Worms-Abenheim beraten, das sich durch Hitze- und Trockenschäden insbesondere bei jungen Reben zu Vitiforst entschlossen und 2023 14 Baumarten gepflanzt hat. Felix Hemer: „Wir hatten die betreffende Fläche von 1,6 ha 2022 vorbereitet, die PIWI-Sorten Souvignier Gris und Sauvignac vorab und nun 85 Bäume gepflanzt.“
Zu den Vorreitern gehört auch das Weingut Engelmann-Schlepper in Eltville-Martinsthal/Rheingau, das von Johannes Bohnacker und Cornelia Schlepper betrieben wird, die als die ersten in Hessen im Januar 2024 auf rund 2 ha Reben 130 Bäume gepflanzt haben: „Bäume im Weinberg pflanzen heißt für uns Zukunft in Zeiten des Klimawandels pflanzen, auch wenn dies erst nach einiger Zeit und Diskussionen mit dem Weinbauamt und der unteren Naturschutzbehörde zwecks Änderung der Nutzung möglich war, und wir die Genehmigungen erhielten.“ (Foto im Aufmacher oben links)
Auch das Weingut Schönhals in Biebelnheim/Rheinhessen zählt zu den Vorreitern, das im Zuge einer Weinbergsflurbereinigung bereits 2022 50 Bäume und Sträucher gepflanzt hat und unter anderem Vorteile in der biologischen Bekämpfung von Rebschädlingen sieht: „Die Gemeine Hainbuche beherbergt z.B. einen Parasiten der Grünen Rebzikade. Dieser Parasit hat den stärksten regulierenden Einfluss auf die Rebzikade. Die Winterlinde wiederum ist Lebensraum für Florfliegen, die Schildläuse und Spinnmilben vertilgen, sowie weitere Nützlinge wie Marienkäfer, Schwebfliegen, Bienen, Hummeln und Fledermäuse. Letztere sind ein natürlicher Feind des Schädlings Traubenwickler. Die Hundsrose bildet ein Nahrungsquelle für ca. 25 Vogelarten, 10 Wildbienen und 100 Insektenarte.“ (Foto im Aufmacher oben rechts)
Zu den Pionoieren zählt auch das Mosel-Weingut Staffelter Hof in Kröv. „Ganz bewusst haben wir uns für ein Agro-Forst-Projekt entschieden. Auf ca. 6 ha haben wir seit 2020 PIWI-Sorten angebaut und inzwischen mit Beratung von Haack auch Obstbäume, Sträucher und Büsche gepflanzt, um für eine größere Biodiversität zu sorgen. Die verschiedenen Bäume spenden unseren Reben Schatten, um sie vor Sonnenbrand zu schützen. Gleichzeitig sparen wir Wasser – was immer knapper wird – und so produzieren unsere Reben ihre Trauben in einem sehr natürlichen Raum“, so das Credo.
Gleichermaßen zu nennen ist auch Delinat, ein Schweizer Weinhandler mit Niederlassung in Deutschland, der sich sehr um naturnahe Weine bemüht und nicht nur eng mit Winzern auch in Italien und Spanien zusammenarbeitet, sondern diese auch von Fachleuten beraten lässt und Vorgaben macht. Das mittlere Foto im Aufmacher stammt von Delinat.
Text: Dieter Simon, Herausgeber und Chefredakteur bonvinitas. Fotos: PR wenn nicht anders angegeben. Aufmachermontage: bonvinitas. Weitere Fotos: PR, sofern nicht anders angegeben.
1) Siehe den Artikel Agroforstsysteme mit Reben von Dr. Carina P. Lang, DLR Rheinpfalz, und Prof. Christian Zörb, Universität Hohenheim, in Der Winzer, 07/21